Rattentanz
Wartebereich stand und die Asche seiner Zigarette genüsslich auf den Boden streute.
»Schwester, mein Urinbeutel ist voll!«, rief er ihr mit erhobenem Arm hinterher.
Eva rannte den fast dreißig Meter langen Flur zu ihrer Station, riss die erste der Türen auf und stand vor dem Eingang zum Aufwachraum. Aufwachraum, dachte sie, Einschlafraum wäre treffender! Sie sah sich um. Sie musste diese Tür irgendwie verriegeln, musste die drei Verrückten daran hindern, hier einzudringen! Die Tür öffnete nach innen. Wenn sie nur irgendetwas so davorlegen könnte … Ihr Blick fiel auf die Betten mit den Toten. Ohne langes Überlegen schnappte sie das erstbeste Krankenbett und rollte es quer vor die Flügeltür. Dann arretierte sie die Bremsen.
Aber wenn sie die Scheiben einschlagen, kann einer von ihnen hereinklettern.
Sie rannte zurück in den Aufwachraum und sah sich um. Aber die Regale und Schränke, die als Barrikade infrage kämen, waren fest eingebaut. Einige Stühle und Hocker standen herum, sonst nichts.
Fast nichts!
Ohne weiter nachzudenken bückte sie sich und packte die Leiche einer alten Frau an den Armen. Die Frau war schwerer als Eva vermutet hatte. Sie war schon fast kalt und als Eva sie auf die Bettbarrikade stemmte, schlugen ihre Arme wie Pendel gegen Evas Beine. Aber Eva wusste, dass dies ihre einzige Chance war. Sie musste sich verbarrikadieren, quasi mit Leichen einmauern, um die Verrückten fern-zuhalten. Sie musste das Kind retten, sich retten. Hans weiß doch noch gar nichts von dem Baby!
Ihr war schwindelig – vor Hunger, vor Anstrengung, wegen des Kindes in ihr. Aber sie ging zurück und zerrte einen Mann mit offener Operationswunde aus seinem Bett und über den glatten Boden zur Tür. Leiche um Leiche zerrte sie durch den Raum. Weiter und immer noch eine. Evas Arme schmerzten und ihr rann der Schweiß vom Körper und ihr Geruch vermischte sich mit dem Geruch von Erdbeercreme und Tod und Blut.
26
21:32 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen
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Fuchs und Mehmet hatten den deutlich längeren Weg durch den Speisesaal genommen. Auch sie waren die Treppen hinaufgerannt und als sie den Raucher trafen und ihn fragten, wo die Schwester hin wäre, begann dieser, über seinen vollen Urinbeutel zu schimpfen und dass er nie wieder in diese Klinik gehen würde. Mehmet rannte einfach auf gut Glück einen (falschen) Flur entlang, Fuchs folgte ihm, als Ritter den Wartebereich erreichte.
»Hier entlang, ihr Idioten!« Ritter humpelte auf Evas Versteck zu. Als er, Fuchs und Mehmet fast gleichzeitig die Tür erreichten, schraken sie zurück: durch die Milchglasscheiben hindurch grinsten sie die Grimassen der Toten an.
Eva brachte auf der anderen Seite der dünnen Tür eine weitere Tote und zerrte sie auf den Leichenberg. Da hörte sie, wie durch einen Vorhang gedämpft, die Stimme des kleinen Türken.
»Die spinnt, die Tussi, die hat sie nicht alle!« Seine Stimme überschlug sich. »Die hat sich mit Toten verbarrikadiert!«
»Gut beobachtet«, lobte Ritter und humpelte einen Schritt zurück. »Komm, du schießt doch so gern.« Er hielt Mehmet die MP hin.
Der riss ihm die Waffe aus der Hand und begann unmittelbar zu ballern. Die ersten Projektile bohrten sich in die Decke, die nächsten holten große Stücke Putz von den Wänden, bevor Mehmet endlich die Tür traf. Zwei Kugeln fanden ihr Ziel, eine davon zerbeulte nur den Türrahmen, die zweite traf die rechte Scheibe. Sie durchschlug sie und dünne Risse mäanderten wie feine Äderchen nach allen Richtungen. Dann gab die Waffe nur noch hohles Klicken von sich.
»Verdammter Dreck!«, schrie Mehmet und warf die MP zu Boden.
»Leer?«, fragte Fuchs süffisant.
»Ja, Mann, siehst du doch!«
»Und die restliche Munition liegt im Wagen. Und mit dem sind Mario und Alex sicher längst über alle Berge.«
»Und wo ist meine Bullenpistole?«, fragt Mehmet.
»Die liegt unten in der Küche auf dem Tisch!«, sagte Ritter.
Mehmet rannte wie ein Verrückter den dunklen Flur zurück. Als er ins Treppenhaus einbog und die ersten sieben Stufen in einem Satz nahm, kam ihm ein Mann entgegen, den er zuerst nicht erkannte, wegen der Dunkelheit und der privaten Kleidung, die der jetzt trug. Es war der Mann, den Ritter jagte!
Vor ihm stand Joachim Beck, der Bulle!
Beck war mindestens genauso überrascht wie der kleine Türke. Beide blieben wie angewurzelt stehen. Sie taxierten sich in dem spärlichen Restlicht, das noch durch die hohen Fenster ins Treppenhaus sickerte.
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