Rau ist die See ...
kein zweites Mal erleben.
„Du kannst wohl nie genug bekommen, hm?“
Die Stimme des Manns kam Jade ebenfalls bekannt vor. Aber sie hätte nicht auf Anhieb sagen können, wer es war.
Die nächsten Geräusche waren jedoch nicht misszuverstehen. Roxanne und ihr Liebhaber küssten einander und flüsterten sich gegenseitig süße Worte ins Ohr. Ungewollt lernte Jade nun eine ganz andere Seite von Roxanne kennen. Und beinah tat es ihr leid, dass sie so ein schlechtes Urteil über das Model gefällt hatte. Roxanne mochte zickig sein, aber sie konnte offenbar auch sehr liebevoll sein, wenn sie wollte. Jade nahm sich vor, in Zukunft toleranter zu sein.
Dann ergriff Roxanne wieder das Wort. „Es ist noch so früh, gleich fängt der Gymnastikkurs von dieser Gewitterziege Jade Walker an.“
Gewitterziege, ich? Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen, dachte Jade wütend. Andererseits wunderte sie nicht, dass Roxanne nichts von ihr hielt. Das beruhte ja auf Gegenseitigkeit. Freundinnen würden sie wohl nie werden.
Der Mann lachte leise. „Du magst die Kleine wohl überhaupt nicht, oder?“
„Jade ist mir in die Quere gekommen, und das wird ihr noch leidtun, Stan.“
Die Drohung schockierte Jade weniger als der Name des Mannes. Stan Nelligan – daher kam ihr die Stimme also bekannt vor. Jade hatte erst einmal mit ihm gesprochen, aber sie wusste schon eine ganze Menge über ihn. Auf jeden Fall gehörte er zu den Verbrechern, die Peters Vater ruiniert hatten. Ein hoch verschuldeter Spieler war er höchstwahrscheinlich ebenfalls – aber war er auch ein Mörder?
Jade wagte es kaum weiterzuatmen. Abgesehen von den kriminellen Machenschaften – sie hätte sich nie träumen lassen, dass Roxanne und dieser unscheinbare und langweilig wirkende Nelligan ein Liebespaar sein könnten. Vielleicht hatten sie ja noch mehr Gemeinsamkeiten? Steckten sie vielleicht auch als Verbrecher unter einer Decke?
Roxanne hatte bereits bewiesen, dass ihr überschäumendes Temperament sie auch zu einer Gewalttat fähig machte. Wäre Jade nicht gewesen, hätte Roxanne die andere Passagierin glatt über Bord geworfen. Ob das Duo Nelligan und Roxanne hinter Anns Verschwinden steckte? Suchten sie gemeinsam nach den Juwelen?
„Diese Jade ist überhaupt nicht wichtig“, antwortete Nelligan. „Mir geht nicht aus dem Kopf, dass ich bei Morris mit 10.000 Pfund in der Kreide stehe. Sobald das Schiff wieder nach England zurückkehrt, bin ich erledigt. Seine Schläger warten bestimmt schon auf mich.“
„Dazu wird es nicht kommen, Liebster! Ich würde dir ja gern aushelfen, als internationales Topmodel verdiene ich schließlich genug. Aber leider werden mir meine Honorare erst später ausgezahlt. Ich kann nur versuchen, einen Vorschuss zu bekommen.“
„Ich habe mich zu sehr auf meine Leute in Nigeria verlassen, Roxanne. Das war mein Fehler. Es ist jetzt schon Monate her, seit Geld aus Abuja in meine Taschen geflossen ist. Dabei stehe ich direkt am Beginn einer Glückssträhne. Das spüre ich einfach. Ich muss jetzt nur Kapital nachschießen, dann kann ich beim Black Jack richtig abräumen.“
Jade achtete darauf, kein Geräusch zu verursachen. Nelligan hatte bereits zugegeben, mit der Nigeria-Connection zu tun und Spielschulden zu haben. Dieser Morris war vermutlich ein Kredithai. Das entsprach wahrscheinlich alles der Wahrheit. Für frei erfunden hielt Jade hingegen Roxannes internationale Modelkarriere.
Den Lauten nach zu urteilen küssten sich Roxanne und Nelligan erneut.
„Diese Heimlichtuerei nervt mich gewaltig, Stan. Ich weiß ja, dass du als Offizier keinen Privatkontakt zu weiblichen Passagieren haben darfst. Trotzdem …“
„Wenn die Kreuzfahrt vorbei ist, wird alles anders. Ich mustere ab und werde mich ganz aufs Spielen konzentrieren. Dann könnten wir immer zusammen sein, Liebling. Das funktioniert allerdings nur, wenn Morris und seine Leute mich nicht finden.“
„Du musst keine Angst haben, Süßer. Deine Roxanne hat einen Plan. Vertraue mir und lass dich überraschen! Ich bin auf der Suche, verstehst du? Und wenn ich gefunden habe, wonach ich Ausschau halte, bist du alle Geldsorgen los.“
Nelligan seufzte. „Das ist zu schön, um wahr zu sein. Aber ich baue auf dich, Roxanne. Etwas anderes bleibt mir ja auch gar nicht übrig. Meine Trickkiste ist leer, ich bin mit meinem Latein wirklich am Ende.“
Jade war wie elektrisiert. Roxanne suchte also nach etwas – nach den Juwelen natürlich, wonach sonst?
Weitere Kostenlose Bücher