Raue See
hatte sich über die Jahre geändert. Außerdem war die damalige Tschechoslowakei EU -Ausland gewesen. Zahllose Duty-free-Shops waren wie Pilze aus dem Boden geschossen und hatten für viel Publikum gesorgt, das dann auch das Geschäft mit der Prostitution ankurbelte. Mit dem Eintritt Tschechiens in die EU war diesem Geschäft die Grundlage entzogen worden. Es kamen einfach weniger.
Für Bojana, Pavlina und Jitka, die sich schon seit ihrer Kindheit kannten, war es aber immer noch der Arbeitsplatz. Seit 1996 verdienten sie hier ihr Geld als Straßennutten. Inzwischen waren sie zwar über vierzig. Doch alle drei hatten Stammkundschaft, und das Geld, das sie mit ihren Körpern verdienten, ernährte sie. Außerdem hatten sie nichts anderes gelernt.
Heute schien es aber wie verhext. Obwohl sie sich äußerst offenherzig gekleidet feilboten, hielt keiner der Vorbeifahrenden an, um mit ihnen eine oder zwei Stunden zu verbringen.
Bojana steckte sich eine Zigarette an und rauchte gelangweilt. Sie zupfte an ihrem Rock, sodass er noch kürzer saß und den Blick auf ihren Stringtanga freigab. Dann rückte sie ihren Busen in Position und knöpfte die Bluse noch ein Stück weiter auf. Es schien alles nichts zu nutzen. Zäh wie Kaugummi zogen die Minuten dahin. Vielleicht war heute einfach nicht ihr Tag.
* * *
Warum hat die blöde Kuh auch auf den Gedanken mit der Vermisstendatei kommen müssen, dachte er missmutig, während er den in Prag geliehenen Honda Prelude lenkte. Es hatte doch so viel Spaß gemacht, die Weiber erst zu necken, dann zu fangen, einzusperren und schließlich die Streiche mit ihnen zu spielen. Diese Freude hatte sie ihm genommen, dafür war nun nicht mehr genug Zeit. Irgendwann würde sie dafür bezahlen, das war mal sicher.
Die Namen auf den Ortsschildern sagten ihm nichts. Er verließ sich voll und ganz auf das Navi, das ihn gerade wissen ließ, dass er noch fünf Kilometer bis zum Ziel hatte. Was hatte es ihn geärgert, die Internetbekanntschaft, die er für den vierten Streich vorgesehen hatte, aufgeben zu müssen! Aber er brauchte eine, die garantiert niemand suchen würde. Die blöde Kuh könnte ihm sonst nämlich auf die Schliche kommen mit ihrer INPOL -Idee. Der Gedanke mit dem Straßenstrich war gut gewesen, die beste Lösung, die ihm eingefallen war. Doch dort traf er sein Opfer nicht allein an, und man könnte sich an sein Auto erinnern. Also hatte er sich eines leihen müssen. Sein eigenes Auto parkte in einem einsamen Waldstück am Rande der B12 in der Nähe von Philippsreut. Dorthin würde er die Nutte, die er gleich aufgabelte, bringen.
Schon aus der Entfernung sah er die drei Frauen. Wie Hühner auf der Stange, dachte er. Er hielt an, stieg aus dem Wagen und musterte sie in gebührendem Abstand. Seine Wahl fiel auf die, die ganz rechts saß. Sie hatte die größten Brüste. Das gefiel ihm.
* * *
Als Bojana, Pavlina und Jitka den potenziellen Kunden erspähten, standen sie auf und warfen sich in Positur. Der Mann ging zielstrebig auf Bojana zu und sprach sie an.
»Was kostest du?«, fragte er ohne Umschweife auf Deutsch.
»Fünfzig mit, hundert ohne. Pension geht extra«, antwortete sie prompt, jedoch mit deutlich hörbarem Akzent. Deutsche Kunden waren hier keine Seltenheit.
»Nix Pension«, sagte der Mann. Er war schon älter und erinnerte die drei an einen Großvater. »Ich will Fotos von dir im Wald machen und es dann dort tun.«
Bojana grinste. Ein geiler alter Bock, den es nach Freiluftsex verlangte. Wenn er zahlte, warum nicht? Sie wurde mutig. »Fünfhundert«, forderte sie.
Sie wunderte sich, dass der Alte nicht verhandelte, sondern in die Innentasche seiner Jacke griff, eine Geldscheinklammer hervorkramte und fünf grüne Einhunderteuroscheine abzählte. Er steckte sie mit überheblicher Geste in Bojanas Dekolleté und befahl: »Komm mit.«
Sie nickte ihren Kolleginnen unauffällig zu und folgte ihm. Wie immer bei unbekannten Kunden notierte sich eine, jetzt war es Jitka, das Autokennzeichen des Freiers. Bojana nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Pavlina und Jitka verschwanden aus dem Sichtfeld des Seitenspiegels.
Sie passierten den Grenzübergang, an dem aber schon seit 2007 keine Kontrollen mehr durchgeführt wurden. Tschechien war dem Schengener Abkommen beigetreten, Europa war größer geworden.
Der Freier sprach nicht mit ihr. Bojana war es egal. Sie hatte fünfhundert Euro für ein, zwei Stunden bekommen. Dass er die Nacktfotos von ihr vermutlich auf einer
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