Raum in der Herberge
Frühstückspension als eine Herberge.
Statt der herbergsüblichen Schlafsäle gab es Drei-Bett-Zimmer, ein elegantes
Bad und ein kleines Wohnzimmer, von Roland liebevoll ausgestattet mit alten
Möbeln, Bildern und Erinnerungsstücken, die er von seinen vorherigen Wohnsitzen
mitgebracht hatte. Seine Herberge sollte kein simples Pilgerquartier sein,
sondern etwas Besonderes, eine Art Parador unter den Refugios. Ein hoher Anspruch, schließlich sind Paradores staatliche spanische Luxushotels, eingerichtet in historischen Gebäuden. Ein
Anspruch auch, den — wie ich bald merken sollte — nicht alle gleichermaßen zu
schätzen wussten und der gelegentlich mit den wesentlich schlichteren
Bedürfnissen mancher Pilger kollidierte.
Wie
auch immer, ich fand die kleine Herberge und das überschaubare Azofra ideal, um
mich in die Pflichten einer Hospitalera und in den spanischen Alltag
einzufinden.
Azofra, erklärte mir Roland, sei das arabische Wort für die Arbeit, die Leibeigene für
den Lehnsherren leisten müssen, auch das fand ich irgendwie passend.
In
der Rückschau wurde mir außerdem klar, dass — wie in der Ouvertüre einer Oper —
hier bereits fast alle Leitmotive für meine Zeit als Hospitalera in spanischen
Pilgerunterkünften angespielt wurden.
Die
Lage der Herberge hatte übrigens tatsächlich etwas Opernkulissenhaftes an sich — als Eckgebäude an dem großen Platz, der wie alle zentralen Plätze in
Spanien Plaza de España hieß, und auf dem wie
auf einer Bühne im Laufe der Zeit allerlei Szenen gespielt werden sollten.
„Das
ist hier wie im Barbier von Sevilla “, pflegte Roland zu sagen. „Der
große leere Platz, alles ist ruhig — aber man weiß: Irgendwann wird etwas
passieren.“
Vor
der Albergue, von Roland „La Fuente“ — der Brunnen — getauft, befand
sich ein eben solcher. Genau das hatte mich daheim, als wir im Freundeskreis
darüber spekulierten, was ich während meiner Hospitalerazeit erleben könnte, zu meiner Phantasie von dem brasilianischen Großgrundbesitzer
inspiriert. Ich konnte mir nicht verkneifen, Roland davon zu erzählen, was ihn
königlich amüsierte und dazu führte, dass er fortan jeden alleinwandernden Pilgersmann , der mich zum Essen oder auf einen Drink
einladen wollte, mit strenger Miene fragte: „Hast du Latifundien in Brasilien? —
Nein? — Dann wird das auch nix.“
Ich
war an einem sonnigen Sonntag im Mai nach einer ziemlich umständlichen Reise
angekommen. Mein Flieger war überbucht gewesen, deshalb hatte man mich in eine
andere Maschine umdirigiert, so dass ich nicht spät abends, sondern erst am
nächsten Mittag in Bilbao ankam. Roland konnte mich deshalb nicht, wie geplant,
abholen.
Telefonisch
lotste er mich in den Zug nach Miranda de Ebro und schickte mir dorthin einen
Bekannten mit Auto. Am Spätnachmittag war ich endlich in Azofra, bezog meine
kleine Hospitalera-Klause, die wie die Pilgerschlafräume im ersten Stock lag,
und ließ mich von Roland in meine künftigen Pflichten einweisen.
Im
Hausflur neben der Eingangstür stand ein Schreibtisch, dort würde ich sitzen
und die Pilger in Empfang nehmen, ihre Credenciales abstempeln und ihre Daten in ein Buch eintragen. Anders als in öffentlichen
Herbergen, wo Name, Herkunftsland, Passnummer, Ausgangspunkt der Pilgerreise,
letzter Übernachtungsort und manchmal sogar noch mehr Daten — für irgendwelche
Statistiken, wie es heißt — festgehalten werden, legte Roland auf solche
Details keinen Wert.
Bei
ihm lauteten die Eintragungen schlicht: „3 Deutsche, Frühstück um 7, 1 x Kakao,
2 x Tee“ oder „1 Franzose, Frühstück um 6, Milchkaffee“. Das erleichterte die
Buchführung, hatte aber aus meiner Sicht den Nachteil, nicht zu wissen, wie die
Leute hießen, die in der Albergue übernachteten. Doch merkte ich rasch, dass in
Herbergen Namen ohnehin Schall und Rauch sind, weil man sie sich gar nicht alle
merken kann. Der Einfachheit halber wurden die Pilger mit ihrer Nationalität
angesprochen — „Österreich, lehn bitte den Wanderstock nicht gegen die Glasscheibe“
— was bestens funktionierte.
Nach
dem Papierkram kam der Teil, der Roland unangenehm war, weshalb er vermutlich
mir von Anfang an den Pilger-Empfang übertrug — nämlich das Einfordern der
Übernachtungsgebühr.
Was
Pilger bezahlen müssen und was sie umsonst bekommen, die schwierige Balance
zwischen Gastfreundschaft und Geschäft, das ist eine unendliche Geschichte auf
dem Camino, die zurückreicht bis in die
Weitere Kostenlose Bücher