Raum in der Herberge
auch vor Ort in der Herberge lernen.“
Meine
Einsatzorte organisierte ich selbst. Mit Roland in Azofra, wo es mir so gut
gefallen hatte, wurde ich telefonisch rasch einig, dass ich ihn im Frühjahr für
zwei Wochen in seiner kleinen Herberge unterstützen würde.
Weil
Journalisten quasi immer im Dienst sind, wollte ich die Erfahrungen, die ich
als Hospitalera machen würde, nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern etwas
darüber schreiben.
Um
das Bild abzurunden, sollte ich deshalb zusätzlich Einblicke in den Alltag
einer größeren Albergue haben, überlegte ich und zog Wolf aus Mansilla zu Rate.
Wir hatten seit meinem Aufenthalt dort Kontakt gehalten und telefoniert. Als er
im Winter wieder in sein Heimatdorf nahe der Stadt, wo ich wohnte,
zurückkehrte, trafen wir uns öfters.
Wolf
kannte sämtliche Herbergen und hauptamtlichen Hospitaleros entlang des Camino,
überlegte, mit wem ich mich wohl gut verstehen und wo
es mir besonders gefallen könnte. Schließlich vermittelte er mir den Kontakt zu
Alfredo, der für die Gemeindeherberge von Molinaseca im Westen der Provinz León
verantwortlich war. Dank Wolfs Referenzen würde ich dort im Anschluss an Azofra
als freiwillige Hospitalera Dienst tun können.
Molinaseca
— ich erinnerte mich noch genau, wie ich auf meinem Camino an einem
wunderschönen Sommermorgen, nachdem ich in einem Ort vorher übernachtet hatte,
an jener Albergue vorbeikam. Die Pilger waren schon alle weitergezogen und in
dem warmen goldenen Sonnenlicht vorm Haus stand eine junge Frau und schüttelte
Decken aus.
Was
für eine hübsche Herberge, dachte ich damals, da würde ich auch gerne mal
Hospitalera sein.
Genau
dieser gedachte Wunsch sollte sich nun erfüllen. Ich sah das als gutes Omen.
Gastfreundschaft und Geschäft
Azofra
Sicherlich
gibt es Dörfer entlang des Camino, die schöner oder interessanter sind als
Azofra. Doch ich mochte diesen kleinen Ort vom ersten Anblick an, war dort mit
meinen Wandergefährten regelrecht hängen geblieben, obwohl wir an jenem Tag
noch nicht allzu viele Kilometer zurückgelegt hatten. Nun war ich gespannt, wie
es mir gefiele, wenn ich länger dort bliebe.
Das
Dorf mit seinen rund 330 Einwohnern liegt in der Provinz Rioja, etwa acht bis zehn
Tage Fußweg entfernt von Saint-Jean-Pied-de-Port. Der Camino führt hier hinter
der Stadt Nájera, bekannt für Kloster und Kirche Santa María la Real, zunächst
auf eine Hügelkette hinauf, danach geht es gemächlich bergab durch sanft
gewelltes Agrarland mit Weinbergen und Feldern. Nach einer Wegbiegung sieht man
in dunstiger Ferne Azofra liegen, in der Mitte die Kirche auf einer kleinen
Anhöhe, um die sich die Häuser zu kuscheln scheinen — ein malerisches Bild, das
mich seinerzeit sofort bezauberte. Von Nahem besehen ist der Ort wenig
spektakulär, aber hübsch, mit bunten Blumen vor den Fenstern der alten Häuser
und Rosenstöcken, die sich an vielen Mauern hochranken.
Wer
in Azofra nicht von der Landwirtschaft lebt, arbeitet in Städten der näheren
und weiteren Umgebung. Im Dorf selbst gab es, zu der Zeit als ich dort war,
zwei Tante-Emma-Läden, eine Apotheke, zwei Restaurants und zwei Herbergen. Die
Unterbringung von Pilgern hat hier eine lange Tradition. Schon im 12.
Jahrhundert begründete eine Adelsfrau in Azofra ein Pilgerhospiz, das bis 1835
bestand.
Die
beiden Herbergen jetzt waren eher klein, die von der Pfarrgemeinde unterhaltene
Albergue konnte gut zwei Dutzend, die private ein Dutzend Pilger unterbringen.
Deshalb gab es auch vage Pläne für den Bau einer größeren kommunalen Albergue.
Die
Pfarrherberge nahe der Kirche war vor Jahren mit Hilfe einer Gruppe von Kölner Santiagofreunden ausgebaut und eingerichtet worden und galt
als eine der freundlichsten Herbergen am Camino — was vor allem das Verdienst
der hauptamtlichen Hospitalera, einer älteren Dame namens María, war.
Die
Privatherberge am Hauptplatz des Dorfes direkt neben dem Camino hatte Roland,
als ich auf meiner Pilgerreise dort Halt machte, gerade vor ein paar Monaten
eröffnet. Nun während meiner Hospitalera-Zeit führte er sie im zweiten Jahr.
Die
Albergue war einst ein herrschaftliches Haus gewesen mit Wirtschaftsräumen im
Erdgeschoss, Wohn- und Schlafzimmern im ersten Stock und einem Speicher
darüber. Viel von der einstigen Herrenhaus-Atmosphäre hatte sich nach der
Umgestaltung zur Pilgerunterkunft erhalten, im Grunde war das Ganze mehr eine
spanische Variante von Bed & Breakfast, eher eine kleine
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