Raum in der Herberge
Anfänge der Jakobus-Wallfahrt. In alter
Zeit galt es als höchst verdienstvoll, Pilger zu beherbergen und zu versorgen,
doch auch damals geschah das keineswegs immer nur gegen Gotteslohn.
Zeitgenössische Schriften belegen die Klagen von Jakobspilgern, wie teuer alles
sei, wie sie geschröpft und übers Ohr gehauen würden oder wie hart sie oft für
Kost und Unterkunft arbeiten müssten.
Heutzutage
sollte allein der gesunde Menschenverstand jedem Pilger sagen, dass es Geld
kostet, Herbergen zu betreiben. Erst müssen sie eingerichtet, dann regelmäßig
renoviert werden, Wasser und Strom sind zu bezahlen, ebenso die bescheidene
Entlohnung für die hauptamtlichen, sowie Unterkunft und Beköstigung für die
freiwilligen Hospitaleros. Dennoch glauben viele auf dem Camino, für sie als
Pilger müsste alles nahezu umsonst sein, weil sie ja schließlich die lange
Wallfahrt nach Santiago auf sich nehmen. Entsprechend wurde ich, wenn ich am
Eingang der Herberge saß und wie der Fährmann in der griechischen Mythologie
den Obolus für den Übertritt in die in diesem Falle nicht Unter- sondern
Oberwelt verlangte, dafür gerüffelt.
„Was?
Acht Euro soll es hier kosten? Das ist aber happig — andere Herbergen verlangen
nur drei oder vier!“
„Gewiss,
aber wir bieten auch mehr als andere Herbergen“, setzte ich dann geduldig
auseinander. „Hier seid ihr in Dreibett-Zimmern untergebracht, bekommt ein
üppiges Frühstück und um eure schmutzige Wäsche braucht ihr euch nicht zu
kümmern — die waschen wir für euch mit der Maschine. Und das alles für nur acht
Euro.“
Die
meisten ließen sich von dieser Argumentation überzeugen; andere versuchten
allen Ernstes zu handeln. „Ich trinke morgens bloß eine Tasse schwarzen Kaffee
und hab’ jetzt nur ein Paar Socken zu waschen — um wie viel wird das billiger?“
Auf
Diskussionen ließ ich mich in solchen Fällen gar nicht erst ein, sondern
verwies freundlich auf die preiswertere Pfarrherberge. Das war oft aber auch
nicht recht, vor allem dann, wenn es in der anderen Unterkunft nur noch
Not-Matratzen im Flur oder unter dem Kirchenvordach gab.
„Ich
bewundere dich, Elisabethchen , wie du das machst“,
würdigte Roland ein ums andere Mal meine Verhandlungsführung. „Ich kann das
nicht so gut.“
„Denk
dir nichts, mein Vater war Bankkaufmann, da lernt man, in Finanzsachen
unnachgiebig zu bleiben.“
An
meinem ersten Abend in Azofra gab es allerdings keine Diskussionen ums Geld,
die Pilger zahlten klaglos ihre acht Euro und lobten später das, was sie dafür
geboten bekamen. Nachdem alle Betten belegt und sämtliche Waschmaschinen mit
der Pilgerwäsche durchgelaufen waren, nahm Roland mich mit in sein Stammlokal,
um mich im Dorf vorzustellen.
Die
„Bar Sevilla“ war eine der für Spanien typischen Mischungen aus Restaurant,
Kneipe und Cafeteria, wo man von morgens früh bis spät in die Nacht etwas zu
essen und zu trinken bekam. Die Einheimischen pflegten hier für einen Kaffee
oder eine Copa , ein Gläschen Wein, eine
Pause in ihren Arbeitsalltag einzuschieben, für Pilger gab es Frühstück und ab
mittags — wie üblicherweise entlang des Camino — günstige Pilgermenüs. Die
Seele des Geschäfts war Begoña, eine mädchenhaft gebliebene Frau in mittleren
Jahren mit dunklem Bubikopf und liebem Gesicht. Ich verstand mich auf Anhieb
gut mit ihr, was sicher nicht nur daran lag, dass wir fast gleichaltrig waren.
Wir fanden einfach sofort einen Draht zueinander und freundeten uns während
meiner Azofra-Zeit immer mehr an.
Rolands
bester Kumpel war Enrique, ein älterer Bauer mit verschmitztem Humor, der —
laut Roland — ausgesprochen wohlhabend sein sollte, was man ihm aber weder von
der Kleidung noch vom Auftreten her anmerkte. Enrique hatte eine
Kehlkopf-Operation hinter sich und sprach deshalb für mich nahezu
unverständlich. Er grinste, als er die Ratlosigkeit in meinem Gesicht las und
entwickelte fortan eine spezielle Konversationsform extra für mich. Er warf mir
einzelne Wörter, die er gerade noch halbwegs deutlich krächzen konnte, an den
Kopf und ersetzte den Rest durch Gesten, Augenrollen und Grimassen.
Tiefschürfende Unterhaltungen konnten wir auf diese Weise zwar nicht
miteinander führen, aber wir verstanden uns.
An
jenem ersten Abend tranken wir ein Gläschen guten Rioja-Wein nach dem anderen,
aßen Nüsse und Roland erzählte — von Enriques Pantomime begleitet — drollige
und derbe Anekdoten aus Azofras Dorfleben.
Später,
nachdem der
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