Raum in der Herberge
zu.
Was
mache ich da? — dachte ich anfangs ein wenig über mich selbst erschrocken, wenn
ich unter dem Vordach von Pilgertisch zu Pilgertisch schlenderte, allen
freundlich zunickte, hier einen Arm drückte, dort die Hand auf eine Schulter
legte wie weiland der Bürgermeister-Hospitalero in Larrasoaña — vermutlich
ohnehin mein unbewusstes Vorbild — und fragte: „Na, alles in Ordnung?“
In
Deutschland hätte ich nie wildfremde Menschen einfach angelangt und wenn, dann
wären sie vermutlich etwas konsterniert gewesen. Hier hingegen lächelten die
Pilger zurück, freuten sich über meine Zuwendung inklusive Körperkontakt,
fühlten sich dadurch in der Herberge willkommen. Sie mochten es, wenn ich mich
um sie kümmerte, fragten mich um Rat und Tipps für den weiteren Camino oder
erzählten mir, was sie besonders beeindruckt hatte.
„Ich
bin Floristin und freue mich natürlich sehr an den Pflanzen, die es hier gibt“,
sagte mir eine Südafrikanerin, „und gerade jetzt diese Etappe übers Gebirge — da
hatte ich das Gefühl, ich ginge durch einen magischen Garten.“
„Wie
hast du eigentlich als Südafrikanerin vom Camino gehört?“, wollte ich wissen.
„Oh,
durch das Buch von Shirley MacLaine. Ich hab es geradezu verschlungen und mir
gesagt — den Weg muss ich auch mal gehen.“
Allmählich
wunderte ich mich nicht mehr, von wie weither die Menschen zum Camino fanden,
und auch nicht darüber, wie selbstverständlich manche das nahmen, was ihnen
dort widerfuhr.
So
legte eine ältere Amerikanerin, die aussah, als würde sie für gewöhnlich
mindestens in Vier-Sterne-Hotels absteigen, ihrerseits liebevoll die Hand auf
meinen Arm, als ich mich entschuldigte, nur noch eine Notmatratze für sie zu
haben. „Das ist völlig in Ordnung. Ich hatte auf meinem Weg durch die Berge
solch wundervolle Visionen, der Camino hat mir bereits mehr gegeben, als ich je
zu hoffen wagte — da ist es völlig egal, wo ich schlafe.“
Manchmal
dachte ich mit einer gewissen Selbstironie: Nun bin ich doch fast eine
Herbergs-„Mutter“ dabei wollte ich das gar nicht sein, sah mich lieber als
Gastgeberin.
Wie
wäre es, wenn ich daheim eine eigene Familie hätte, überlegte ich in diesem
Zusammenhang — würde es mir dann auch so viel Freude machen, mich um Pilger zu
kümmern? Na, wahrscheinlich wäre ich in dem Falle wohl kaum hier, denn Mann und
Kinder hätten sicher Einspruch dagegen erhoben, dass Mütterchen im fernen
Spanien als Hospitalera wildfremde Menschen umsorgt, während sie in Deutschland
allein den Laden schmeißen müssten.
So
allerdings genoss ich es, meinen mangels eigener Familie lange unbeansprucht
verkümmerten Fürsorgetrieb voll auszuleben. Hätte das bei einem ehrenamtlichen
Engagement in Deutschland ebenso funktioniert? Vermutlich nicht — ich brauchte
wohl die ganz andere Umgebung oder vielleicht die viel beschworene Magie des
Camino, um ohne Hemmungen Herzlichkeit und Gefühl zeigen zu können.
Und
ich bekam viel dafür zurück. An meinem Empfangstischchen an der Herbergstür saß
ich selten lange allein. Immer wieder kamen Pilger auf einen kleinen Plausch zu
mir oder jemand stellte unaufgefordert ein Bier vor mich hin: „Damit du da
nicht so trocken sitzen musst.“
Abends
im „ Palacio “, meinem Stammlokal, winkten mich Pilger
aus unserer Herberge grundsätzlich an ihren Tisch, schlossen mich in ihre Runde
ein.
Ein
deutsches Ehepaar, Fahrradpilger, das abends sehr spät angekommen war und
dankbar und klaglos mit den Matratzen vorlieb nahm ,
die ich gerade noch hinter die Eingangstüre quetschen konnte, lud mich dafür am
anderen Morgen ein, ihr Frühstück mit ihnen zu teilen. Altbackenes Brot, ein
bisschen Käse, ein paar Oliven — es war die Geste, die zählte. Die beiden
hatten die „Losungen“ dabei, das kleine Büchlein mit einem Bibelspruch für
jeden Tag, das meine Mutter auch immer gelesen hatte, und holten es nach dem
Frühstück hervor. Ich erinnere mich nicht mehr, wie der Spruch für jenen Tag
genau lautete, weiß aber noch, dass es darin ums Miteinander-Teilen ging.
„Wie
passend“, meinte ich.
Die
beiden lächelten. „Das ist es immer.“
„Das
nächste Mal machen wir den Camino zu Fuß“, erklärten sie später, als sie sich
auf ihre Räder schwangen, „das ist doch irgendwie intensiver.“
Diesen
Satz sollte ich noch öfters hören. Wenn tatsächlich am Camino besondere
Energiebahnen verlaufen, dann spürt man die zu Fuß sicher besser. Es gibt sogar
einzelne
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