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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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zahllose Menschen dazu angeregt zu haben,
sich selbst auf den „Weg der Erkenntnis“ zu machen. Es hat sie dazu inspiriert,
in diesen Konsum- und Karriere-betonten Zeiten für ein paar Wochen all das
hinter sich zu lassen, was angeblich so wichtig für unseren Alltag ist — um das
Wesentliche zu suchen und den eigenen spirituellen Horizont zu erweitern.
     
    Alfredo
schätzte es sehr, dass ich in vier Sprachen kommunizieren konnte und holte mich
gelegentlich, wenn er Pilger verarztete, zum Übersetzen hinzu. Für gewöhnlich
kam er irgendwann im Laufe des Nachmittages wieder in die Albergue, um nach dem
Rechten zu sehen und mich später an meinem Tischchen am Eingang abzulösen,
damit ich essen gehen konnte.
    Vor
allem aber öffnete er die Bar, die in einem Anbau hinter der Herberge
eingerichtet war. Dort gab es Bier vom Fass und andere Getränke, Eis und
Tiefkühlpizza, was alles sehr guten Zuspruch bei den Pilgern fand, sparten sie
sich damit doch den halben Kilometer zurück ins Dorf, um etwas zu essen und zu
trinken zu bekommen.
    Um
die Albergue herum lief an drei Seiten ein breites Vordach. Auf der einen Seite
standen darunter die schon erwähnten Notquartier-Zelte, auf der anderen kleine
Tische mit Stühlen, an denen die Pilger gern saßen, lasen, Tagebuch schrieben,
sich unterhielten, Brotzeit machten, frisch gezapftes Bier tranken oder ihre
Füße in Essig-Salzwasser-Bädern kühlten. Die Etappe übers Gebirge, an deren
Ende Molinaseca lag, hatte es in sich. Viele kamen mit dicken Blasen an den
Füßen, Muskelkrämpfen oder, was am schlimmsten war, Sehnenentzündung in der
Herberge an.
    Das
Behandeln dieser Patienten war Alfredos Beritt, obwohl ich ihm dabei so oft und
so genau über die Schulter sah, dass ich es durchaus selbst hätte machen können
— aber er war der Profi. Er hatte eine besondere Technik, die Flüssigkeit aus
Blasen herauszuholen und diese anschließend zu desinfizieren, damit am nächsten
Tag ein wenigstens halbwegs schmerzfreies Weitergehen möglich war. Außerdem
hatte er in verschiedenen Kursen Spezialmassagen gelernt, konnte damit Muskeln lockern und sogar Sehnenentzündungen im Anfangsstadium lindern.
Er leistete all diese Dienste wie selbstverständlich und ohne Aufhebens darum
zu machen und ich bewunderte ihn dafür.
    Ich
bewunderte auch, dass er nie den Überblick verlor, egal was passierte, und ich
mochte sein „ tú tranquila — bleib du mal ganz ruhig“, wenn ich in Hektik abzugleiten drohte, etwa weil
jemand die Waschmaschine falsch bediente und dabei war, den halben
Aufenthaltsraum unter Wasser zu setzen. Alfredo blieb auch gelassen, wenn zehn
Pilger ungeduldig am Eingang scharrten und sämtliche Betten belegt schienen,
obwohl das laut den fortlaufenden Nummern in unserem Datenbuch eigentlich nicht
sein konnte. Er stieg dann in den Schlafsaal hinauf, zählte die Rucksäcke und
fand schnell heraus, welche Betten nur scheinbar belegt waren, um sie für
Nachzügler zu reservieren, was ja nicht zulässig war.
    Alfredo
kannte sämtliche Tricks der Pilger, wusste um alle Probleme, die sie haben
könnten — schließlich ging er den Jakobsweg selbst jedes Jahr, wenn schon nicht
in gesamter Länge, so doch in Teilstücken. Der Camino war seine Leidenschaft
und deshalb hatte er in jenem Jahr eine private Albergue in Vega de Valcarce , etwa 50 Kilometer von Molina entfernt,
eingerichtet. Dieses Dörfchen liegt in einem idyllischen Tal nahe dem Aufstieg
zum Gebirgsort O Cebreiro, der letzten großen Steigung, die auf dem Weg nach
Santiago zu überwinden ist.
    Diese
Herberge führte Alfredos Frau Christina, unterstützt von der deutschen
Hospitalera Margit und im Sommer zusätzlich von los dos Micheles, Christinas Schwester und deren Mann, die lustigerweise beide Michel hießen.
    „Margit
ist klasse“, schwärmte Alfredo. „Sie hat das Ganze von
Anfang an mit aufgebaut und ist sehr tüchtig. Zunächst konnte sie kaum
spanisch, hat das aber in wenigen Wochen hervorragend gelernt. Sie spricht
jetzt fließend und sie ist wirklich eine Super-Hospitalera, allerdings sehr
deutsch“, fügte er mit einem Zwinkern hinzu, „ una cabeza cuadrada — ein
Quadratkopf halt.“
    Ich
zwinkerte zurück, wohl wissend, dass er auch mich gelegentlich für
quadratköpfig hielt, für zu genau und überkorrekt. Wenig später hatten die
beiden cabezas cuadradas Gelegenheit, sich kennen zu lernen. Weil Christina einen Termin in Molinaseca
wahrnehmen musste, wurde ich für einen Tag nach Vega

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