Raum in der Herberge
steckte?
Später
sowie als Hospitalera sah ich noch viele Herberts und Marions, die sich
vermutlich bald trennen würden — oder für die es besser wäre, wenn sie es
endlich täten.
Da
gab es Männer, die den Weg in ihrem Tempo durchzogen, ohne Rücksicht auf
die Partnerin, die Mühe hatte hinterherzuhecheln — Frauen,
die nette Gesten ihres Partners absichtlich übersahen — Paare, die muffelig
ankamen, ohne sich gemeinsam über das Ende der Etappe zu freuen. Statt „Schatz,
jetzt eine Dusche und dann gönnen wir uns ein schönes Bier“, raunzten sie
„kommst du endlich?“, stiegen übellaunig in den Schlafsaal hinauf. Später saßen
sie griesgrämig unter dem Vordach oder im Restaurant, ohne sich anzusehen, und
wenn sie sich unterhielten, dann nicht miteinander.
Dem
gegenüber traf ich aber auch viele Paare, deren Beziehung — wie bei Castor und
Pollux in Azofra — durch den gemeinsamen Jakobsweg, die zusammen
durchgestandenen Strapazen und die miteinander erlebten Freuden noch inniger
wurde. Solche Paare massierten sich abends liebevoll gegenseitig die müden
Beine, steckten gemeinsam die Füße in ein Essig-Salzwasser-Bad und wenn sie von
ihren Erlebnissen erzählten, taten sie das mit strahlenden Augen und indem sie
dabei einander ergänzten.
Nie
vergessen werde ich jenes ältere belgische Ehepaar, das bestimmt schon
mindestens sechzig Jahre alt war. Als ich eines Spätnachmittags etwas im
Schafsaal suchte, sah ich sie Siesta halten — Arm in Arm lagen sie in einem Bett, die Köpfe im Schlaf einander zugewandt und auf ihren Gesichtern lag so
viel friedvolle Zärtlichkeit, dass es mich zutiefst rührte. Auf Zehenspitzen
schlich ich nach unten, um sie ja nicht zu stören. Sollte ich je wieder einen
Mann treffen, mit dem ich mir eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann, gehe ich
erst mit ihm auf den Camino, schwor ich mir angesichts meiner
Paar-Beobachtungen. Danach weiß ich dann, was ich wirklich von ihm zu halten
habe.
Eine
ganze Reihe von denen, die sehr vertraut miteinander schienen, waren das erst auf dem Camino geworden. An meinem
Empfangstischchen, wo ich die Pilgerdaten aufnahm, saß ich sozusagen an der
Quelle. Zwei Menschen, die aus unterschiedlichen Ländern stammten und den
Camino an verschiedenen Ausgangsorten begonnen hatten, konnten schwerlich von
Anfang an ein Paar sein. Die lange, oft einsame Wanderung macht
anlehnungsbedürftig, und da der Camino wie gesagt jedem das gibt, was er
braucht, bekommen diejenigen, die das nötig haben, eben eine Liebesaffäre.
Wobei sich beim besten Willen nicht sagen lässt, wie viele dieser
Camino-Liebesgeschichten den Jakobsweg überdauern, selbst wenn sie so
romantisch sind wie die von Celine und Roy.
Celine,
eine Französin Ende zwanzig mit blonden Zöpfen, eine frische, natürliche Frau,
die ich mir gut als Sennerin oder Hauptdarstellerin im Märchen von der
Gänseliesel hätte vorstellen können, kam gegen Ende der Eiszeit mit Fieber und
Sehnenentzündung in der Herberge an. Sie fühlte sich derart elend, dass sie um
eine weitere Übernachtung am Ort bat, was unter diesen Umständen mehr als
gerechtfertigt war. Am Nachmittag ihres zweiten Tages erschien Roy, ein junger
Holländer, und fragte, ob eine Celine hier abgestiegen sei.
„Sie liegt oben im Bett und ist ziemlich schlecht
beieinander.“
„Es
wird ihr bald besser gehen“, meinte er lächelnd, „wenn man einen Menschen, den
man liebt, bei sich hat, ist das die beste Medizin.“
Am
Abend sah Celine bereits wieder viel wohler aus, am anderen Morgen würden sie
gemeinsam weitergehen können. Vorher wollte Roy ihr allerdings noch eine Reiki -Behandlung geben, jene
Energieübertragung, die oft Wunder wirkt, und deshalb baten die beiden darum,
nach Abmarsch der Pilger noch ein, zwei Stunden in der Herberge bleiben zu
dürfen. „Kein Problem, ich komme dann etwas später zum Saubermachen — oder was
meinst du, Elisabeth?“, sagte Alfredo. Mir war es recht, und ich bemühte mich
anderntags, beim Putzen im Schlafsaal möglichst leise zu sein, damit die beiden
unten bei der Reiki-Behandlung ungestört waren. Später saßen wir bei Kaffee und
Keksen noch eine Weile zusammen und Celine und Roy erzählten mir ihre Geschichte.
Sie
waren sich bereits in Südfrankreich auf dem Jakobsweg begegnet und hatten sich
ineinander verliebt. Aber Celine war noch nicht bereit für eine Beziehung, sie
war darauf fixiert den Camino zu gehen und zwar allein, und so trennten sie
sich nach ein paar Tagen
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