Raum in der Herberge
der sich mangels Türen die Kochdünste ungehindert bis in den
Schlafsaal ausbreiten konnten. Deshalb war es nicht erlaubt, etwas zu braten — vor
allem keine stark riechenden Dinge wie Fisch, Zwiebeln oder Knoblauch. Diese
Regelung, die ich jedem Neuankömmling mitteilte, hatten bisher alle eingesehen
und eingehalten Die Australierin allerdings schickte sich nun an, einen Topf
mit Öl zu füllen und Zwiebeln zu schneiden.
„Wenn
du vorhast, das zu braten, dann muss ich dir leider sagen, dass das in dieser
Herberge nicht geht“, schritt ich ein. „Es ist hier generell verboten, stark
riechende Sachen zu braten, weil hier alles offen ist und der Geruch wer weiß
wie lange im Schlafsaal hängen bliebe.“
Das
Mädchen warf mir einen giftigen Blick zu. „Ich hab bisher in jeder Herberge
meine Zwiebeln gebraten.“
„Tut
mir Leid, aber in dieser hier geht das nicht.“
„Dann
muss ich eben ohne Frühstück weggehen“, fauchte sie, „und du bist die
unangenehmste Person, die mir auf dem ganzen Camino begegnet ist.“
Ich
war so verblüfft über diesen Ausbruch, dass mir keine passende Antwort einfiel.
Später ärgerte ich mich, ihr nicht entsprechend Contra gegeben zu haben.
„Vergiss
es“, meinte Alfredo, als ich ihm davon erzählte. „Habe ich dir nicht gestern
Abend schon gesagt, dieses Mädchen würde Probleme machen?“
Hatte
er, aber ich hatte es nicht recht geglaubt. In Zukunft sollte ich mich wirklich
auf seine Menschenkenntnis verlassen.
„Hallo,
da sehen wir uns wieder“, sagte eine fröhliche Stimme und eine Hand legte sich
auf meine Schulter. Ich drehte mich und hinter mir stand Anne, die Psychologin
aus Ostdeutschland, braungebrannt und gut gelaunt.
„Was
war das für ein herrlicher Weg über’s Gebirge,
schwärmte sie, indem sie ihren Rucksack auf den Boden gleiten ließ und mir ihr
Credencial zum Abstempeln gab.
„Du
hast Glück, dass du diese Etappe jetzt gegangen bist. Ein paar Tage vorher
hatten wir hier Eiszeit — da wäre der Weg nicht so herrlich gewesen. Wo ist
übrigens Alexandra? Anne verzog bedauernd das Gesicht. „Heimgefahren. Sie hatte
doch schon in Azofra Probleme mit ihren Füßen. Das ist immer schlimmer geworden
und sie hat den Weg abgebrochen.“
Somit
war Anne lange Strecken des Camino allein gegangen. „Und das war gut so“,
meinte sie später bei einer großen Schüssel Spaghetti, die ich für uns gekocht
hatte. „Weißt du, bei uns früher in der DDR, da war alles so eng, so engstirnig
und eingekastelt. Das wirkt sich auch auf dein Inneres aus. Wenn man dann den
Camino geht, durch diese unendliche Weite, weitet man sich plötzlich irgendwie
selber. Gerade heute habe ich gedacht, wie herrlich ist es doch, sich zu
öffnen.“
Ich
konnte das sehr gut nachvollziehen, machte ich hier schließlich meine eigenen
Erfahrungen mit dem Sich-Öffnen. Außer Anne begegnete ich nur wenigen Pilgern,
die in Rolands Herberge abgestiegen waren, wieder. Weil der Weg über die
Bergkette lang ist, übernachteten viele in den Gebirgsdörfern El Acebo oder Riego de Ambros und
passierten Molinaseca morgens früh, wenn die Herberge zum Saubermachen
geschlossen war. Außerdem hatten sicherlich einige wie Alexandra aufgeben
müssen. Den sympathischen Guiseppe sah ich leider nicht mehr wieder, genauso
wenig wie die beiden kleinen Österreicherinnen, die in meinem Bett geschlafen
hatten, oder den netten Tom Cruise — die Großväter-Truppe zum Glück aber auch
nicht.
Waren
mir in Azofra die zahlreichen Ersatz-Eltern-Kind-Kombinationen aufgefallen,
schienen inzwischen besonders viele Paare unterwegs zu sein, solche, die
bereits zusammen auf den Camino gegangen waren und solche, die sich dort erst
gefunden hatten.
Generell
ist der Camino für jedes Paar eine Prüfung — egal ob es sich um Freunde, frisch
Verliebte oder langjährige Ehepaare handelt. Alles, was in der jeweiligen
Beziehung bereits angelegt ist — an positiven wie negativen Gefühlen, an Frustrationen
und an Hinwendung — wird durch den langen, harten Weg verstärkt. Auch oder
gerade in dieser Hinsicht ist der Camino ein „Weg der Erkenntnis“. Die einen
merken, wie sehr sie sich auf ihren Gefährten verlassen können; andere müssen
feststellen, dass sie genau das nicht können.
„Ich
gehe jetzt ohne Herbert. Der erste Tag war hart, aber es ist gut so. — Marion“,
las ich in einem Herbergsgästebuch während meiner Pilgerreise. Was für ein
Drama wohl hinter diesem knappen Eintrag
Weitere Kostenlose Bücher