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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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wollte, konnte es nicht schaden, ein paar zusätzliche
Erfahrungen zu machen. Zwei Wochen in Azofra und anderthalb in Mansilla, danach
könnte ich immer noch auf Arbeitssuche gehen — also buchte ich den nächsten
billigen Flug, den ich kriegen konnte.
    Diesmal ging alles glatt, die
Maschine war pünktlich, ich erwischte ohne langen Zwischenaufenthalt einen Zug
nach Miranda. Roland holte mich ab, sah ziemlich geschafft aus und auf der
Rückfahrt erzählte er mir, was in der Zwischenzeit alles losgewesen sei.
    „Du kannst dir nicht
vorstellen, was das für ein Trubel war“, stöhnte er, untermalt von großen
Gesten, „in diesem Jahr ist es wirklich völlig verrückt. Was das Schlimmste ist
— es kommen die unmöglichsten Leute, anmaßend, unverschämt, undankbar. Oft hab
ich wirklich Lust, alles hinzuschmeißen.“
    Das tat mir Leid für ihn,
andererseits wusste ich aber auch, dass eine Reihe seiner Probleme sozusagen
hausgemacht waren. Abends in der Herberge, wo wir allein waren, weil Roland, um
mich abzuholen, gar nicht erst geöffnet hatte, ging das Klagelied weiter. Neben
den bekannten Strophen — die mangelnde Wertschätzung der Pilger für das, was er
ihnen böte, die lästigen Diskussionen ums Geld, der Ärger mit Leuten aus dem
Dorf, die ihn schlecht machten — stimmte er eine neue an und die hieß: An der Via
de la Plata ist alles besser.
    Die Via de la Plata, die
Silberstraße, ist eine der anderen großen Routen des Jakobswegs. Sie führt von
Sevilla in Südspanien nach Santiago und gilt als anspruchsvoller und
anstrengender als der Camino Francés, da die Etappen in der Regel länger sind,
es nur in großen Abständen Unterkunfts- und Verpflegungsmöglichkeiten gibt.
Roland war, als ihm in Azofra alles zu viel wurde, kurzerhand für ein paar Tage
die Silberstraße entlang gefahren und hatte sich dort umgesehen.
    „Da gibt es einen echten Bedarf
an Herbergen, manche Gemeinden wären richtig froh, wenn einer was einrichten
würde. Außerdem sind die Pilger dort ganz anders als die hier, viel dankbarer“,
schwärmte er.
    Ich gab zu bedenken, dass nur
wenige Pilger die Silberstraße gingen, man dort in hunderten anstatt wie auf
dem Camino Francés in zehntausenden zählte.
    Das ließ Roland nicht gelten.
„Na und, dann sind es eben weniger. Aber wenn du denen eine schöne Herberge
bietest, dann küssen sie dir aus Dankbarkeit die Füße.“
    Ich verkniff mir einen
Kommentar, später in meinem stillen Kämmerlein ging ich allerdings in mich.
Sich die Füße küssen lassen — deshalb wurde man doch wohl hoffentlich nicht
Hospitalero. Waren wir Hospitaleros und Hospitaleras nicht vielmehr dazu da,
Pilgern zu helfen und ihnen im Rahmen unserer Möglichkeiten den Aufenthalt in
der jeweiligen Herberge angenehm zu machen? Ehrlicherweise musste ich zugeben,
auch ich war nicht gegen Eitelkeit gefeit und schließlich mit dem Anspruch
angetreten, eine unvergesslich gute Hospitalera zu sein. Auch ich sonnte mich
gerne im Lob von Pilgern — doch wenn das ausblieb, Pilger meine Bemühungen
nicht zu schätzen wussten, nahm ich das inzwischen nicht mehr persönlich. Wie
die Pilger waren auch wir Hospitaleros Glieder in einer langen Kette und zwar
austauschbar, das hatte mir Alfredo deutlich gemacht. Und wenn eine der
Lektionen, die Pilger auf dem Camino lernen sollten, Demut und Dankbarkeit ist,
dann gilt dies genauso für Hospitaleros. Nicht umsonst wird in einigen
Herbergen die alte Sitte gepflegt, den ankommenden Pilgern die Füße zu waschen.
    All das hatte Roland offenbar
aus den Augen verloren und das war im Grunde kein Wunder. Zwar ständig von
Menschen umgeben, war er dennoch allein und wer zu lange allein lebt,
entwickelt Marotten, bekommt leicht eine verzerrte Perspektive.
    Alfredo hatte mir einmal
erklärt: „In einer Herberge sollten immer mindestens zwei Hospitaleros sein und
zwar idealerweise ein männlicher und ein weiblicher, denn je nach Problem
brauchen Pilger unterschiedliche Ansprechpartner.“ Roland aber führte die Herberge
allein, auch wenn er es ursprünglich anders geplant hatte.
    Abgesehen von meinem kurzen
Gastspiel war er für alles und jeden der alleinige Ansprechpartner und damit — obwohl
er das vermutlich nie zugeben würde — überfordert. Er hatte niemanden, mit dem
er Ärger oder Freude teilen konnte, fraß alles in sich hinein, bis er
irgendwann explodierte, und das womöglich aus nichtigem Anlass — wie gleich am
nächsten Tag. Gegen zwei Uhr nachmittags klingelte

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