Raum in der Herberge
dem
Vordach hatten Simone und Alfredo Matratzen ausgelegt, eine davon hatte der
junge Österreicher ergattert, und — obwohl schon Abend — trafen immer noch
vereinzelt Pilger ein.
Alfredo nahm es locker. „Wer
jetzt noch ankommt, soll selbst sehen, wo er sich einen Platz sucht. Es ist
dein letzter Abend, Elisabeth, lasst uns essen gehen.“
Da saßen wir dann — Alfredo und
seine beiden Hospitaleras, die alte und die neue — auf der Terrasse eines
Restaurants unten am Fluss, aßen viele Tapas, kleine leckere Häppchen
und tranken noch viel mehr leckeren Bierzo-Wein, philosophierten über das
Leben, den Camino, unsere jeweilige Vergangenheit und das, was die Zukunft uns
noch bringen könnte — und irgendwann sagte Alfredo endlich doch den Satz, auf
den ich die ganze Zeit insgeheim gehofft hatte: „Du warst eine sehr gute
Hospitalera, Elisabeth. Wenn du willst, kannst du jederzeit wieder kommen.“
Bevor ich nach Deutschland
zurückflog, machte ich einen Abstecher nach Mansilla. Das war zwar ein
erheblicher Umweg, aber wer weiß, wann ich wieder nach Spanien käme, und ich
wollte unbedingt Wolf und Laura wiedersehen. Wolf hatte ich wie gesagt ein paar
Mal in seinem Dorf in der Nähe der Stadt, wo ich wohnte, besucht. Einmal hatte
ich dabei auch Laura getroffen, die bei seiner Familie Urlaub machte. Wir
hatten uns gut verstanden, als würden wir uns schon lange kennen.
„Komm uns in Mansilla
besuchen“, forderten sie mich damals auf.
Also brachte Alfredo mich in
der Früh zum Busbahnhof in Ponferrada, ich nahm den Bus nach León, stieg dort
um und war mittags in Mansilla.
Für eine ausführliche Begrüßung
hatten Laura und Wolf keine Zeit, am Empfangstisch drängelten sich zahllose
Pilger. „Wir kommen hier erstmal nicht weg“, meinte
Wolf. „Du siehst müde aus. Magst du dich ein bisschen hinlegen?“ Kein
Widerspruch meinerseits. Er brachte mich in sein Hospitalero-Zimmer, dort
sackte ich auf das zweite Bett und fiel in todähnlichen Tiefschlaf — ungestört
von Schnarchern, knisternden Plastiktüten oder dem Trampeln schwerer
Wanderstiefel.
Es war draußen bereits dunkel,
als Wolf mich sanft wachrüttelte.
„Was ist denn mit dir los?“
„Totales Schlafdefizit“, ächzte
ich, „ich sage nur: vierzehn Tage Pilgerschlafsaal.“
„Ja, ja, das ist der großer
Nachteil in Molina“, meinte Wolf. „Und sonst? Wie hat es dir gefallen?“
„Ich fand es einfach wunderbar.
Tierisch anstrengend, aber zugleich unglaublich befriedigend. Jetzt kann ich
verstehen, warum du jedes Jahr ein paar Monate als freiwilliger Hospitalero
hierher kommst.“
Wir gingen essen — Laura, Wolf
und ich — in eines der gemütlichsten Lokale von Mansilla, erzählten uns
drollige und anrührende Geschichten von „unseren“ Pilgern, tauschten
Hospitalero-Erfahrungen aus.
Es erschien mir völlig absurd,
dass ich am nächsten Tag nach Deutschland zurückreisen sollte — in mein so
genanntes normales Leben, eigentlich empfand ich das Leben hier als viel
normaler.
„Wenn du Lust hast, kannst du
irgendwann nach Mansilla kommen und in der Herberge mitarbeiten“, lud Laura
mich ein. Hatte sie meine Gedanken gelesen?
„Aber ihr seid doch schon zu
zweit und außerdem hilft euch, wenn ich mich recht entsinne, die Freundin
deines Bruders.“
„Ach“, winkte Laura ab, „hier
ist genug zu tun. Da könnten wir dich auf jeden Fall gut brauchen.“
Als sie mich am nächsten Mittag
zum Bus brachten und mir hinterher winkten, ahnten wir nicht, wie schnell wir
uns wiedersehen würden.
Jakobszirkus
Mansilla
de las Mulas
Schon vier Wochen später flog
ich wieder nach Spanien, eine Reise, zu der ich mich spontan entschlossen
hatte, fast ein wenig eine Flucht. Bei dem Fernsehsender, für den ich
arbeitete, war ein strikter Sparkurs ausgerufen worden. Das hieß, freie
Mitarbeiter wie ich sollten weniger und während des Sommerferienprogrammes
sogar fast gar nicht beschäftigt werden. Damit hatte ich ungeplant und
unbezahlt mehrere Wochen frei, sofern ich mich nicht woanders nach Arbeit
umsah, und die Chancen, dabei etwas zu finden, standen ausgesprochen schlecht.
In der Zwischenzeit hatte
Roland mich mehrmals angerufen, mir in den Ohren gelegen, dass er in Arbeit
ertränke, gar nicht wüsste, wie er alles alleine schaffen sollte, ob ich eine
Möglichkeit sähe, noch mal zu kommen?
Warum eigentlich nicht, sagte
ich mir schließlich. Wenn ich tatsächlich etwas über meine Erfahrungen als
Hospitalera schreiben
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