Raum in der Herberge
„wir finden das ganz toll, dass wir den Camino
zusammen machen.“
Kate war Anfang zwanzig, also
mehr als flügge, und würde bald aus dem Elternhaus ausziehen und sich eine
eigene Wohnung nehmen. Der gemeinsame Jakobsweg vor dem Beginn einer neuen
Lebensphase — für beide gleichermaßen — sollte sie noch einmal
zusammenschweißen, ihnen etwas geben, an das sie sich gemeinsam erinnern
könnten. Warum die Mutter nicht ebenfalls mitgegangen war, wurde mir nicht ganz
deutlich, vielleicht hatte sie einfach keinen Urlaub bekommen. „ Mom hätte das auch gefallen — ganz sicher. Vielleicht
machen wir den Weg irgendwann noch mal mit ihr“, meinte Kate und hob das Kinn
in Richtung ihres Vaters. „Oder du machst ihn mit ihr.“
Neil nickte bedächtig. „Ich
kann mir gut vorstellen, den Camino noch einmal zu gehen.
Aber jetzt müssen wir ihn erst
diesmal schaffen.“ Er verzog das Gesicht. „Wir haben nämlich Probleme mit
unseren Füßen. Notfalls müssen wir halt den Bus nehmen.“
Letztlich war das aber nicht
nötig, die beiden schafften es, den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen — wie mir
Kate später per E-Mail berichtete.
Der Camino sei wie ein Traum
gewesen, schrieb sie, die schnellsten fünf Wochen, die sie je durchlebt habe,
und gewiss werde sie ihn irgendwann noch einmal gehen.
„In Santiago haben wir das
junge schwangere Paar aus Italien getroffen, von dem du uns erzählt hast“,
teilte sie mir außerdem mit. „Sie waren entzückend und beide sahen irgendwie leuchtend
aus. Du hast recht, sie schienen wirklich wie Maria und Joseph.“
Isabel hatte von unterwegs
immer wieder angerufen und Positionsmeldungen abgegeben. Sie und ihre
Wanderkumpanen lagen gut in der Zeit, erreichten Santiago, wie sie es sich
vorgenommen hatten, und José schickte sich an, sie dort mit dem Auto abzuholen.
Sollte ich mitfahren?
Schließlich ging mein Rückflug ab Santiago. Aber ich fand es besser, Isabel
daheim in der Herberge die Amtsgeschäfte wieder zu übergeben, anstatt ihr in
Santiago gleichzeitig Guten Tag und Auf Wiedersehen zu sagen.
Somit hatte ich noch ein
gemütliches Wochenende in Rabanal, mit sonntäglichem Familienmittagessen, zu
dem Pfarrer des Ortes geladen war — so was kannte ich sonst nur aus alten
Filmen.
Tags darauf fuhren Isabel und
José für Besorgungen nach Astorga und nahmen mich mit, damit ich mir mein
Busticket nach Santiago kaufen konnte. Den Rückweg machte ich zu Fuß. An einem
sonnigen kalten Tag nahm ich auf diese Weise Abschied vom Camino — für dieses
Jahr. Irgendwann würde ich wiederkommen, das stand fest.
Bevor ich am anderen Morgen
abfuhr, wollte ich ein Familienfoto von uns allen machen — aber die Männer
tauchten nicht auf der Bildfläche auf, schliefen wie üblich länger. Deshalb
gibt es nur ein Abschiedsbild von Esperanza und mir, auf dem wir im Patio
stehen, sie mit Schürze, ich im dicken Pulli. Arm in Arm strahlen wir in die
Kamera und im Grunde entsprach dieses Foto meiner Zeit in Rabanal mehr als es
ein Bild von der ganzen Familie getan hätte. Esperanza war meine wichtigste
Bezugsperson gewesen — und Gaspar.
Um ihm Lebewohl zu sagen eilte
ich noch rasch in die Posada. Scheinbar sehr beschäftigt kruschtelte er hinter dem Tresen und ich ahnte, sentimentale Abschiede waren ganz und gar
nicht seine Sache.
„Ich wollte dir noch einmal
danken für alles — für deine Freundschaft, deine Großzügigkeit, deine
Hilfsbereitschaft“, sagte ich trotzdem, „und ich fand es sehr schön, dass ich
hier bei dir in der Posada immer eine Anlaufstelle hatte.“
Er lächelte ein wenig verlegen,
aber gerührt. „Es war schön, dass du da warst. Und du sollst wissen, du bist
hier immer willkommen — sei es als Touristin, als Pilgerin, als Hospitalera,
als Freundin des Hauses — oder als bezahlte Angestellte.“ Er hätte mir nichts
Besseres zum Abschied sagen können. Mit dem Marktbus fuhr ich nach Astorga, kaufte mir dort noch etwas Proviant für die Fahrt und
nahm den Überlandbus nach Santiago.
Santiago –
Ende und
Anfang aller Wege
Es ist immer wieder
herzzerreißend, in Santiago anzukommen. Der Stolz und das Glück, es geschafft
zu haben, mischt sich mit schmerzlicher Wehmut, dass die wunderbare Zeit am
Jakobsweg nun zu Ende ist — das ging mir als Pilgerin nicht anders wie als
Hospitalera. In beiden Fällen wartete nun wieder der normale Alltag auf mich, galt
es, zurück zu kehren auf den Camino des Lebens.
Bei meiner Pilgerreise war die
Etappe nach
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