Raum in der Herberge
hatte mein Glas noch nicht
ausgetrunken, als Bram hereinkam und sich ganz selbstverständlich neben mich an
den Tresen stellte. Es war, als hätten wir uns dort verabredet, dabei hatten
wir lediglich gehofft, uns wiederzusehen, denn wie wir in Rabanal feststellten,
entsprach die Zeit, die er noch für seinen Camino brauchte, in etwa der Dauer
meines Aufenthalts in der Herberge. Dass wir uns derart einfach treffen würden,
damit war nicht zu rechnen gewesen. Im Übrigen hätte ich keinen Tag später
ankommen dürfen, am anderen Morgen ging Brams Flugzeug zurück nach Holland.
Nachdem ich in derselben
kleinen Pension wie damals als Pilgerin eingecheckt hatte, gingen wir zusammen
essen. Ich hatte Bram nie gefragt, warum genau er sich auf den Camino gemacht
hatte und was speziell er dort finden wollte — aus dem, was er von sich aus
bereits erzählt hatte, wusste ich, dass es ihm ähnlich ging wie mir. Er war auf
einer Art Selbsterkenntnistrip und suchte die Richtung für seinen zukünftigen
Lebensweg.
„Es ist wirklich erstaunlich,
über was man sich alles klar wird auf diesem Camino. Man entdeckt Dinge, die schon
immer da waren, die man aber nicht sehen konnte“, sagte er jetzt
dementsprechend. „Das ist wie mit diesen gelben Pfeilen, den Flechas , die den Weg markieren. Manchmal denkt man: Da ist
ja gar kein Pfeil — wo geht es jetzt lang? Und dann schaut man sich um und
entdeckt mit einem Mal doch einen und er war die ganze Zeit da, man hat ihn
bloß nicht gesehen.“ Er lächelte. „Darum habe ich das auch als Motto für meinen
Camino genommen: Es ist schon da, aber man sieht es nicht.“
Wir schwiegen eine Weile und sahen
jeder für sich vor seinem inneren Auge eine Reihe von Flechas ,
im tatsächlichen wie übertragenen Sinne, die wir lange Zeit übersehen hatten.
Vielleicht war ja alles ganz einfach, überlegte ich. Vielleicht war die viel
beschworene Magie des Camino eigentlich die Magie in uns selber — und der
Camino war lediglich die Antenne, die uns an unsere eigene Magie anschloss. So
besehen schien die Idee von den Ley-Linien weniger absurd, wie sie mir anfangs
vorgekommen war, oder die Theorien von anderen besonderen Energiebahnen über,
unter oder auf dem Camino.
Andererseits — war es wirklich
so wichtig, die Magie des Jakobsweges bis ins Letzte erklären zu können? War es
nicht das Wesen von Magie, das sie letztlich unerklärlich bleiben musste? Das
einzig Wichtige war doch, dass sie wirkte — bei den einen schnell, bei anderen
langsamer und bei manchen auch gar nicht, wenn für sie die Zeit dafür noch
nicht reif war.
Am anderen Morgen tranken Bram
und ich noch zusammen Kaffee, tauschten Adressen aus und dann machte er sich
auf mit seinem Rucksack und seinem Regenschirm — Richtung Flughafenbus und
weiter nach Hause — und ich wusste nicht, ob ich jemals wieder etwas von ihm
hören würde.
So ist das mit allen
Beziehungen, welcher Art auch immer, die auf dem Camino entstehen, und mögen
sie noch so intensiv gewesen sein — sentimentaler Abschied in Santiago,
vielleicht noch verzögert durch ein paar zusätzliche Urlaubstage — aber dann
muss unweigerlich wieder jeder für sich seinen Weg gehen.
David und ich verzögerten
damals unseren Abschied, indem wir nach Fisterra fuhren, um am Ende der Welt
symbolisch ein paar Sachen zu verbrennen, die wir auf dem Camino getragen
hatten. Wir hatten uns sehr keltisch gefühlt, sehr verbunden mit uralten
Zeiten, wie wir da standen auf einer Klippe hoch über
dem Meer und im Sonnenuntergang unser Feuer bewachten.
„Was meint ihr“, fragte eine
Pilgerin, die wir in Fisterra getroffen hatten, am endgültig letzten Tag beim
Frühstück unter Santiagos Arkaden, „war das alles nur Zufall, dass wir einander
begegnet sind?“
„Nein“, sagte David damals mit
dem Brustton der Überzeugung. „Es gibt keinen Zufall. Ich musste Elisabeth treffen.“ Umgekehrt empfand ich es genauso, ohne David wäre mein
Camino nicht derselbe gewesen.
Ich flog zurück nach
Deutschland und David blieb noch ein paar Monate in Santiago, um
Englischunterricht zu geben und besser Spanisch zu lernen. Wir hielten über
Mails und Telefon Kontakt, der einschlief, als David nach Irland zurückkehrte.
Er war wieder bei seinen leiblichen Schwestern, unsere Ersatz-Geschwisterbeziehung
hatte sich damit überlebt — und das war völlig in Ordnung so. Vieles, was man
auf dem Camino braucht und bekommt, ist eben nur für die Dauer des Weges
bestimmt.
Doch es gibt auch
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