Raum in der Herberge
Schmuckstück werden.
„Ich würde hier gerne
irgendwann einmal Hospitalera sein“, sagte ich zu ihm, „am liebsten sogar von
Anfang an. Aber mein Leben ist derzeit im Umbruch, es wäre falsch, jetzt etwas
mit dir auszumachen.“
Gaspar nickte und lächelte
verständnisvoll.
Auf der Rückfahrt hielt José
wieder einmal einen seiner Monologe ohne Punkt und Komma. Hatte ich geglaubt,
ich könne gut Spanisch? Weit gefehlt — wenn die Familie sich in rasendem Stakkato
austauschte, unterhalten konnte man das eigentlich kaum nennen, bekam ich zwar
mit, um was es ging, die Einzelheiten rauschten jedoch an mir vorbei. Und wenn
José sich über das Leben und das Verhältnis der Geschlechter zueinander auslies , verstand ich vielleicht gerade mal ein Drittel.
Das war sicher auch besser so, sonst hätte ich vermutlich über seine — aus
meiner Sicht völlig überholten — Ansichten einen Streit vom Zaun gebrochen.
„Dich verstehe ich gut“, sagte
ich später zu Esperanza, als wir allein in der Küche aufräumten, „aber bei José
kann ich nur raten, was er sagt.“
„Denk dir nichts, ich verstehe
ihn auch nicht. Er nuschelt, und wenn ich frage: Was hast du gesagt ?, meint er bloß: Bist du taub?“
Nachdem wir in der Küche fertig
waren, drückte Esperanza mir einen großen Korb in die Hand und nahm selbst
einen, rief José und wies ihn an, die Schubkarre zu holen: „Wir gehen in die
Äpfel.“
Man musste den sonnigen Tag
ausnützen, denn das Wetter hatte zu jener Zeit keine klare Linie; Regen, Nebel,
stürmischer Wind und strahlend blauer Himmel wechselten einander ab, aber stets
war es kalt.
Quer durchs Dorf gelangten wir
auf einen glitschigen Feldweg, der an einem Mäuerchen entlang zu einer großen
Wiese mit Obstbäumen führte. Die Blätter waren schon fast alle abgefallen, rote
und gelbe Äpfel hingen jedoch noch in großer Zahl an den Bäumen, reiften quasi
nach. Anders als in Deutschland, wo wahrscheinlich nur die einwandfreien
Früchte aufgehoben worden wären, sammelten wir hier alles ein, was im Gras lag,
schüttelten die Bäume noch mal kräftig, sammelten wieder ein, auch die Äpfel
mit Wurmstichen.
Während wir über den rutschigen
Pfad zurück balancierten, vorneweg José mit der vollbeladenen Schubkarre,
dahinter Esperanza und ich mit schweren Körben in klammen Händen — da traf mich
plötzlich wie ein Blitz eine Erkenntnis. Mit einem Mal wusste ich, dass es bei
meinen Hospitalera-Einsätzen nur oberflächlich darum ging, den Camino von
anderer Warte aus kennen zu lernen, wie ich immer behauptete, sondern vor allem
darum, mich selbst von anderer Warte aus kennen zu lernen. Ich sollte
dabei erfahren, was ich alles zu tun, zu akzeptieren in der Lage war, wie weit
ich mich integrieren konnte in einem fremden Umfeld. Nein, ich hätte nicht
immer in einem Ort wie Rabanal mit seinen althergebrachten Strukturen bleiben
mögen, aber es war gut zu sehen, dass ich durchaus für eine Zeit dort sein
konnte und trotz aller Anpassung mir selbst treu blieb. Erziehung war
laut Roys Engelskarte, die ich seinerzeit in Molinaseca gezogen hatte, das
Thema meiner Hospitalera-Zeit. Womöglich ging diese Erziehung sehr viel weiter,
als ich bisher angenommen hatte. Waren meine Einsätze in Pilgerherbergen
zugleich Probeläufe für einen Kurswechsel in meinem Leben?
Ich hatte mich so weit an die Sitten des Ortes angepasst, dass ich sogar
fast jeden Abend mit Esperanza in die Messe ging. Nicht, dass mich plötzlich
tiefe Frömmigkeit gepackt hätte — der allabendliche Kirchgang mit
anschließendem Wein bei Gaspar gab vielmehr meinem Tag eine weitere Struktur.
Außerdem fand ich es angenehm, in der spärlich beleuchteten, schmucklosen
kleinen Kirche zu sitzen und mich in meditativen Gedanken durch die Liturgie
gleiten zu lassen. Das mochte vielleicht nicht ganz im Sinne der Heiligen
Mutter Kirche sein, aber unfromm fand ich es nicht.
„Sag den Pilgern, wann hier
Messe ist“, hatte Esperanza mich gleich zu Anfang angewiesen. Ich hatte das
nicht sonderlich ernst genommen, weil ich auf meinem eigenen Camino beobachtet
hatte, dass die Pilgerkollegen abends in der Regel schnurstracks die nächste
Kneipe und nicht eine Kirche ansteuerten.
Hier aber saßen jeden Abend
zahlreiche Herbergsgäste in den Kirchenbänken. Es war ihnen wichtig, den Tag
besinnlich ausklingen zu lassen, bevor sie sich der Befriedigung ihrer
leiblichen Bedürfnisse und damit dem Mesón oder der
Posada zuwandten.
„ Una promesa , ein
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