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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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von mir gelernt.«
    »Ist sie am Sterben?«
    »Nein!« Sie schreit beinahe. »Wenn es irgendwas Neues gäbe, hätte Leo angerufen.«
    Leo ist Stiefpa, die ganzen Namen können einen wirklich durcheinanderbringen. Ich will jedenfalls nur meinen einen Namen haben, Jack.
    In ihrem Haus zeigt Grandma mir Frankreich auf einem Globus, das ist so eine Statue von der Welt, die sich dreht. Die ganze, komplette Stadt, wo wir wohnen, ist nur ein Punkt, und die Klinik ist auch in dem Punkt. Und Raum auch, aber Grandma sagt, an den Ort brauche ich nicht mehr zu denken, ich soll ihn einfach vergessen.
    Zum Mittagesen esse ich ganz viel Brot und Butter, es ist französisches Brot, aber Kacka ist keine drauf, glaube ich. Meine Nase ist rot und heiß und auch meine Backen und der oberste Teil von meiner Brust und meine Arme und hinten auf meinen Händen und meine Fußgelenke über den Socken.
    Stiefpa sagt Grandma, sie soll sich nicht so aufregen.
    »Dabei war es doch nicht mal besonders sonnig«, sagt sie und wischt sich die Augen.
    Ich frage: »Fällt mir jetzt die Haut ab?«
    »Nur ein paar Stückchen«, sagt Stiefpa.
    »Mach dem Jungen keine Angst«, sagt Grandma. »Du bist bald wieder in Ordnung, Jack, mach dir keine Sorgen. Reib dich noch mal mit der Feuchtigkeitscreme ein …«
    Es ist schwer, hinter mich zu greifen, aber ich will nicht die Finger von anderen Personen auf mir, deshalb schaffe ich es.
    Grandma sagt, eigentlich sollte sie noch mal in der Klinik anrufen, aber im Moment bringt sie es nicht über sich.
    Weil ich verbrannt bin, darf ich auf dem Sofa liegen und Zeichentrickfilme gucken, Stiefpa sitzt mit seiner Weltenbummler -Zeitschrift im Sessel.
     
     
     
    In der Nacht will mich Schlimmerzahn holen, er hüpft über die Straße, boing boing boing , drei Meter groß und ganz verfault, und spitze Splitter fallen runter, er haut die Wände ein. Dann treibe ich in einem Boot, das zugenagelt ist, the worms crawl in, the worms crawl out …
    Da zischt was im Dunkel, ich weiß nicht, was das ist, aber dann ist es Grandma. »Jack, es ist alles in Ordnung.«
    »Nein.«
    »Schlaf wieder ein.«
    Lieber nicht.
    Beim Frühstück nimmt Grandma eine Tablette. Ich frage sie, ob das ihre Vitamine sind. Stiefpa lacht. Sie sagt zu ihm: »Du musst gerade reden.« Dann sagt sie zu mir: »Jeder hat so seine Mittelchen.«
    Das Haus ist schwer zu kapieren. Die Türen, in die ich immer rein darf, sind die Küche und das Wohnzimmer und der Fitnessraum und das Gästezimmer und der Keller und das Stück vorm Schlafzimmer, das heißt Treppenabsatz. Ins Schlafzimmer kann ich auch gehen, außer die Tür ist zu, dann muss ich klopfen und warten. Ich kann ins Badezimmer, außer die Tür geht nicht auf, das heißt, es ist sonst jemand drin, und ich muss warten. Die Wanne und das Becken und das Klo sind grün, aber es heißt Avocado, nur die Brille ist aus Holz, und auf der kann ich sitzen. Ich soll die Brille hochmachen und danach wieder runter, aus Höflichkeit den Damen gegenüber, das ist Grandma. Das Klo hat einen Deckel auf der Schüssel, so wie der, den Ma auf Old Nick gehauen hat. Die Seife ist ein harter Ball, und ich muss reiben und reiben und reiben, bis sie klappt. Die von Draußen sind nicht wie wir, sie haben Millionen von Sachen und von jeder Sache verschiedene Sorten, zum Beispiel ganz verschiedene Schokolädchen und Maschinen und Schuhe. Die Sachen sind alle für was anderes da, zum Beispiel Nagelbürste und Zahnbürste und Wurzelbürste und Klobürste und Kleiderbürste und Schuhbürste und Haarbürste. Ich lasse ein bisschen Puder fallen, das heißt Talkum, ich wische es auf, aber dann kommt Grandma rein und sagt, das ist die Klobürste, und sie ist sauer, weil ich Bazillen verteile.
    Es ist auch das Haus von Stiefpa, aber der hat nichts zu sagen. Meistens ist er in seiner Höhle, das ist ein Extraraum nur für ihn.
    »Man will ja nicht ständig mit den anderen zusammen sein«, sagt er mir. »Auf die Dauer geht einem das auf die Nerven.«
    »Warum?«
    »Glaub’s mir einfach, ich war zweimal verheiratet.«
    Durch die Haustür darf ich nicht raus, ohne vorher Grandma Bescheid zu sagen, würde ich aber sowieso nicht. Ich sitze auf den Stufen und lutsche ganz feste an Schlimmerzahn.
    »Spiel doch mal irgendwas«, sagt Grandma und drückt sich an mir vorbei.
    Es gibt ganz viel. Ich weiß nicht, was ich aussuchen soll. Da sind meine Spielsachen von den verrückten Gratulanten, Ma hat gedacht, es wären nur fünf, dabei waren es

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