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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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Richter zeigen kann. Bilder, Fingerabdrücke …«
    Während ich meine Liste schreibe, denke ich an das Schwarze von Laufbahn und das Loch unter Tisch und die ganzen Striche, die ich und Ma gemacht haben. Und wie der Richter mein Bild von dem blauen Tintenfisch anguckt.
    Grandma sagt, es ist eine Schande, so einen schönen Frühlingstag zu verplempern, und wenn ich mein langes Hemd und meine vernünftigen Schuhe und die Kappe und die Sonnenbrille anziehe und ganz viel Sonnencreme drauftue, kann ich raus in den Garten kommen.
    Sie spritzt sich Sonnencreme in die Hände. »Du kannst jederzeit los und stopp sagen. Wie bei der Fernsteuerung.«
    Das ist irgendwie lustig.
    Sie fängt an, mich oben auf den Händen einzuschmieren.
    »Stopp!« Nach einer Minute sage ich: »Los«, und sie fängt wieder an. »Los.« Sie stoppt. »Heißt das, ich soll weitermachen?«
    »Ja.«
    Sie schmiert mein Gesicht. Ganz dicht bei meinen Augen habe ich es nicht gern, aber sie ist ganz vorsichtig.
    »Los.«
    »Eigentlich sind wir schon fertig, Jack. Bist du so weit?«
    Grandma geht als Erste durch die zwei Türen, erst eine aus Glas und dann eine aus Netz, dann winkt sie mich raus, und das Licht wird zickzackig. Wir stehen auf der Veranda, die ist ganz aus Holz wie das Deck von einem Schiff. Da sind so Fussel drauf, kleine Knäuel. Grandma sagt, das ist irgendein Pollen von einem Baum.
    »Welchem?« Ich starre zu all den verschiedenen hoch.
    »Da bin ich überfragt, fürchte ich.«
    In Raum wussten wir immer, wie alles hieß, aber in der Welt gibt es so viel, dass die Personen noch nicht mal die Namen wissen.
    Grandma ist über einem von den Holzstühlen und wackelt ihren Popo rein. Es gibt Stöckchen, die durchbrechen, wenn ich drauftrete, und ein paar klitzekleine gelbe Blätter und ein paar matschige braune, sie sagt, sie hat Leo schon im November gebeten, dass er sich um die kümmern soll.
    »Hat Stiefpa eine Arbeit?«
    »Nein, wir sind früh in Rente, aber jetzt haben unsere Aktien natürlich an Wert verloren …«
    »Was heißt das?«
    Sie lehnt ihren Kopf zurück an das Obere vom Stuhl, ihre Augen sind zu. »Nichts, mach dir keine Gedanken darüber.«
    »Stirbt er bald?«
    Grandma macht die Augen wieder auf und guckt mich an.
    »Oder bist du die Erste?«
    »Ich möchte dir mitteilen, dass ich erst neunundfünfzig bin, junger Mann.«
    Ma ist erst 26. Sie ist über den Berg gegangen, heißt das, sie kommt jetzt zurück?
    »Niemand stirbt hier«, sagt Grandma. »Mach dir da mal keine Sorgen.«
    »Ma sagt, wir müssen alle irgendwann sterben.«
    Sie quetscht ihren Mund zusammen, er hat drum rum Linien wie Sonnenstrahlen. »Die meisten von uns hast du doch gerade erst kennengelernt, Freundchen, da musst du es nicht so eilig mit dem Verabschieden haben.«
    Ich gucke runter auf den grünen Teil vom Garten. »Wo ist die Hängematte?«
    »Wo du so wild darauf bist, die müssten wir wohl noch irgendwo im Keller ausgraben können.« Sie steht mit einem Grunzer auf.
    »Ich komm mit.«
    »Bleib schön da sitzen und genieß die Sonne. Ich bin in null Komma nichts wieder da.«
    Aber ich sitze doch gar nicht. Ich stehe.
    Als sie weg ist, ist es ganz still, nur so ein Quieken in den Bäumen. Ich glaube, das sind Vögel, aber ich sehe keine. Der Wind schüttelt die Blätter, raschel raschel. Ich höre einen Jungen rufen, vielleicht in einem anderen Garten hinter der großen Hecke, oder vielleicht ist er auch unsichtbar. Das gelbe Gesicht von Gott hat eine Wolke auf. Plötzlich kälter. Die Welt ändert andauernd ihr Helles und ihr Heißes und ihr Lautes, ich weiß nie, wie es in der nächsten Minute ist. Die Wolke sieht irgendwie grau und blau aus. Ich frage mich, ob sie Regen in sich drin hat. Wenn gleich Regen auf mich drauffällt, dann renne ich auf jeden Fall ins Haus, bevor er meine Haut ertrinkt.
    Irgendwas macht tssss, ich gucke in die Blumen, und da ist das Allerirrste, eine lebendige Biene, riesig, mit gelben und schwarzen Teilen, sie tanzt mitten in der Blume. »Hi«, sage ich. Ich strecke meinen Finger aus, weil ich sie streicheln will, und …
    Auaaaaaaaaaa!
    Meine Hand explodiert, so weh hat mir noch nie was getan. »Ma«, brülle ich und Ma! in meinem Kopf, aber sie ist nicht im Garten, und sie ist auch nicht in meinem Kopf, sie ist nirgends. Ich bin ganz allein und habe Aua Aua Aua Aua Aua …
    »Was hast du jetzt schon wieder angestellt?« Grandma kommt über die Veranda gelaufen.
    »Gar nichts, es war die Biene.«
    Als sie die

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