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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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Spezialsalbe draufmacht, tut es nicht mehr so doll weh, aber immer noch ziemlich.
    Also helfe ich ihr dann mit meiner anderen Hand. Die Hängematte hängt an Haken an zwei Bäumen ganz hinten im Garten, einer ist ziemlich kurz, nur zweimal so groß wie ich, und der biegt sich, aber der andere ist millionenmal größer und hat ganz silberne Blätter. Die Seilstücke sind irgendwie zusammengequetscht, weil sie die ganze Zeit im Keller waren, wir müssen ziehen und ziehen, bis die Löcher das richtige Groß haben. Außerdem sind zwei Seile kaputt, deshalb gibt es noch mehr Löcher, in denen dürfen wir nicht sitzen.
    »Wahrscheinlich Motten«, sagt Grandma.
    Ich wusste gar nicht, dass Motten so groß werden können, dass sie Seile zerreißen.
    »Ehrlich gesagt, haben wir sie schon seit Jahren nicht mehr aufgehängt.« Grandma sagt, sie riskiert es nicht reinzuklettern, außerdem hat sie sowieso lieber was mit Rückenlehne.
    Ich strecke mich lang aus und mache die Hängematte ganz allein voll. Ich wackele mit meinen Füßen in den Schuhen. Ich stecke sie durch die Löcher und auch meine Hände, bloß nicht die rechte, weil die noch so doll wehtut von der Biene. Ich denke an die kleine Ma und den kleinen Paul, wie sie in der Hängematte geschaukelt haben, komische Vorstellung. Wo sind sie jetzt? Der große Paul ist vielleicht bei Deana und Bronwyn, sie haben gesagt, wir würden ein andermal die Dinosaurier gucken gehen, aber ich glaube, sie haben gelogen. Die große Ma ist in der Klinik und geht über den Berg.
    Ich ziehe an den Seilen, ich bin eine Fliege in einem Netz. Oder ein Räuber, den Spider-Man gefangen hat. Grandma schiebt mich an, und ich schaukle, bis mir schwindlig wird, aber es ist cool schwindlig.
    »Telefon.« Das ist Stiefpa, er steht auf der Veranda und ruft.
    Grandma läuft über das Gras, sie lässt mich ganz allein im Draußen vom Draußen. Ich springe runter und falle beinahe hin, weil mein Schuh hängen bleibt. Ich ziehe den Fuß raus, der Schuh geht ab. Ich renne hinterher, fast genauso schnell wie sie.
    In der Küche spricht Grandma am Telefon. »Aber natürlich, das Wichtigste zuerst, er steht direkt neben mir. Hier ist jemand, der mit dir reden möchte.«
    Ich bin das, zu dem sie das sagt, sie hält mir das Telefon hin, aber ich nehme es nicht. »Rate mal, wer das ist.«
    Ich gucke sie an.
    »Das ist deine Ma.«
    Es stimmt, da ist Mas Stimme im Telefon. »Jack?«
    »Hi.«
    Sonst höre ich nichts mehr, deshalb gebe ich es Grandma zurück.
    »Ich bin’s wieder, wie geht es dir, ganz ehrlich?«, fragt Grandma. Sie nickt und nickt, und dann sagt sie: »Er hält sich wacker.«
    Sie gibt mir noch mal das Telefon, und ich höre zu, wie Ma ganz oft »es tut mir leid« sagt.
    »Bist du nicht mehr von der schlimmen Medizin vergiftet?«, frage ich.
    »Nein, nein, es geht mir schon wieder besser.«
    »Du bist nicht im Himmel?«
    Grandma hält sich die Hand vor den Mund.
    Ma macht einen Ton, ich weiß nicht, ob es Weinen oder Lachen ist. »Ich wünschte.«
    »Du wünschtest, dass du im Himmel bist?«
    »Eigentlich nicht, das war nur ein Witz.«
    »Aber kein witziger Witz.«
    »Nein.«
    »Wünsch dir das nicht.«
    »Okay. Ich bin in der Klinik.«
    »Hattest du keine Lust mehr zu spielen?«
    Ich höre gar nichts, ich glaube, sie ist weg. »Ma?«
    »Ich war müde«, sagt sie. »Ich habe einen Fehler gemacht.«
    »Bist du jetzt nicht mehr müde?«
    Sie sagt nichts. Dann sagt sie: »Doch. Aber es geht mir besser.«
    »Kannst du hierherkommen und in der Hängematte schaukeln?«
    »Ganz bald«, sagt sie.
    »Wann?«
    »Weiß ich noch nicht, es kommt drauf an. Und bei euch, läuft es gut mit Grandma?«
    »Und Stiefpa.«
    »Ähm, ja. Was gibt es Neues?«
    »Alles gibt es neu«, sage ich.
    Da muss sie lachen, ich weiß nicht, warum. »Hast du Spaß?«
    »Die Sonne hat meine Haut abgebrannt, und eine Biene hat mich gesticht.«
    Grandma verdreht die Augen.
    Ma sagt was, was ich nicht hören kann. »Ich muss jetzt Schluss machen, Jack, ich muss noch mal schlafen.«
    »Wachst du danach wieder auf?«
    »Versprochen. Ich bin so …« Ihr Atem hört sich ganz abgehackt an. »Wir sprechen uns ganz bald wieder, okay?«
    »Okay.«
    Es kommt kein Sprechen mehr, deshalb lege ich das Telefon hin. Grandma sagt: »Wo ist dein zweiter Schuh?«
     
     
     
    Ich gucke die Flammen an, die ganz orange unter dem Nudeltopf tanzen. Das Streichholz liegt auf der Theke, an einem Ende ist es ganz schwarz und verbogen. Ich halte es ans Feuer,

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