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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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leiser: »Es hätte doch alles Mögliche passieren können.«
    »So was wie ein Erdbeben?«
    Grandma starrt mich durch den kleinen Spiegel an. »Irgendein Fremder hätte sich dich schnappen können, Jack, das meine ich damit.«
    Ein Fremder ist ein Nicht-Freund, aber die Frauen waren doch meine Freunde. »Warum?«
    »Weil er vielleicht einen kleinen Jungen haben wollte, alles klar?«
    Es hört sich nicht alles klar an.
    »Oder dir sogar was antun.«
    »Meinst du ihn ?« Das ist Old Nick, aber das kann ich nicht sagen.
    »Nein, der kann nicht aus dem Gefängnis raus, aber vielleicht ein anderer von seiner Sorte«, sagt Grandma.
    Ich wusste gar nicht, dass es auf der Welt noch einen von seiner Sorte gibt.
    »Kannst du jetzt zurückfahren und meinen Ball kaufen?«, frage ich.
    Sie macht den Motor an und fährt so schnell vom Parkplatz weg, dass die Reifen quietschen.
    Im Auto werde ich immer böser.
    Als wir wieder beim Haus sind, tue ich alles in meine Dora-Tasche, bloß meine Schuhe passen nicht rein, deshalb werfe ich sie in den Müll, dann rolle ich Teppich auf und ziehe sie hinter mir her die Stufen runter.
    Grandma kommt in die Diele. »Hast du dir die Hände gewaschen?«
    »Ich gehe wieder in die Klinik«, schreie ich sie an, »und du kannst mich nicht aufhalten, du bist nämlich eine … eine Fremde.«
    »Jack«, sagt sie, »bring diesen stinkigen Teppich wieder zurück.«
    »Du bist die Stinkige«, brülle ich.
    Sie drückt sich die Hand auf die Brust. »Leo«, sagt sie über die Schulter, »jetzt habe ich aber wirklich langsam die …«
    Stiefpa kommt und hebt mich hoch.
    Ich lasse Teppich fallen. Stiefpa tritt meine Dora-Tasche aus dem Weg. Er trägt mich, ich schreie und schlage ihn, weil er das nicht darf, es ist ein Sonderfall, ich kann ihn sogar töten, ich töte ihn und töte ihn …
    »Leo«, heult Grandma unten an den Stufen, »Leo …«
    Ich rieche Menschenfleisch , bestimmt reißt er mich in Stücke, er wickelt mich in Teppich und begräbt mich, the worms crawl in, the worms crawl out …
    Stiefpa lässt mich auf die Luftmatratze fallen, aber es tut gar nicht weh.
    Er setzt sich am Rand drauf, und sie geht hoch wie eine Welle. Ich weine immer noch und zittere, und mein Rotz kommt auf das Laken.
    Ich höre auf zu weinen. Ich suche unter der Luftmatratze nach Schlimmerzahn, dann tue ich ihn in meinen Mund und lutsche ganz fest. Er schmeckt nach gar nichts mehr.
    Die Hand von Stiefpa ist direkt neben mir auf dem Laken, da sind Haare auf seinen Fingern.
    Seine Augen warten auf meine Augen. »Alles wieder gut? Vergeben und vergessen?«
    Ich schiebe Schlimmerzahn in meine Backe. »Was?«
    »Sollen wir auf dem Sofa ein Stück Kuchen essen und das Spiel angucken?«
    »Okay.«
     
     
     
    Ich hebe Äste auf, die von den Bäumen runtergefallen sind, sogar ganz riesige schwere. Ich und Grandma binden sie mit Schnur zu Paketen zusammen, damit die Stadt sie mitnehmen kann. »Wie kann denn die Stadt … ?«
    »Ich meine die Leute von der Stadt, diejenigen, deren Job das ist.«
    Wenn ich groß bin, ist mein Job Riese sein, nicht so einer, der Leute frisst, aber vielleicht einer von der Sorte, die Kinder auffangen, wenn sie ins Meer fallen, und sie wieder an Land bringen.
    Ich rufe: »Löwenzahn-Alarm.« Grandma gräbt die mit ihrer Kelle aus, damit das Gras wachsen kann, weil nicht für alles auf einmal Platz ist.
    Als wir müde sind, setzen wir uns in die Hängematte, sogar Grandma. »Früher habe ich immer so mit deiner Ma hier gesessen, als sie noch ein Baby war.«
    »Hat sie was von dir gekriegt?«
    »Was?«
    »Aus deiner Brust?«
    Grandma schüttelt den Kopf. »Sie hat immer meine Finger zurückgedrückt, wenn sie ihr Fläschchen bekam.«
    »Wo ist die Bäuchlein-Mama?«
    »Die … ach, darüber weißt du Bescheid? Keine Ahnung, fürchte ich.«
    »Hat sie noch ein Baby gekriegt?«
    Grandma sagt erst nichts. Dann sagt sie: »Das ist eigentlich eine schöne Vorstellung.«
     
     
     
    Ich male auf der Küchentisch und habe Grandmas alte Schürze an, auf der steht: I Ate Gator on the Bayou . Ich male keine richtigen Bilder, nur Klekse und Streifen und Spiralen, ich nehme alle Farben, ich mische sie sogar in kleinen Pfützen zusammen. Es macht mir Spaß, wenn ich zuerst alles nass mache und dann das Papier zusammenfalte, wie Grandma es mir gezeigt hat, wenn ich es dann nämlich wieder auseinanderfalte, ist es ein Schmetterling.
    Da ist Ma im Fenster.
    Das Rot verschüttet. Ich versuche es aufzuwischen,

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