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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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Raum war ich noch nie.
    »Und wenn wir dann befreit werden, finden wir uns perverserweise allein in der Masse wieder …«
    »Und der sensorische Dauerbeschuss lässt uns taumeln«, sagt der Erste.
    » Post -Moderne.«
    Eine Frau ist auch dabei. »Aber symbolisch betrachtet, ist Jack doch nichts anderes als ein Kindsopfer«, sagt sie, »das in das Fundament einzementiert wird, um die bösen Geister zu besänftigen.«
    Häh?
    »Ich würde eigentlich eher meinen, dass der entscheidende Archetypus hier Perseus ist – von einer eingemauerten Jungfrau geboren und in einem Holzkistchen auf dem Meer ausgesetzt, das Opfer, das als Held zurückkehrt«, sagt einer von den Männern.
    »Es ist ja allgemein bekannt, dass Kaspar Hauser behauptete, er sei in seinem Verlies glücklich gewesen, aber vielleicht wollte er damit eigentlich nur sagen, dass das Deutschland des 19. Jahrhunderts ein noch größeres Verlies war.«
    »Jack hatte immerhin einen Fernseher.«
    Ein anderer Mann lacht. »Kultur als Schatten an der Wand von Platos Höhle.«
    Grandma kommt rein und schaltet sofort aus, sie knurrt.
    »Das war über mich«, erkläre ich ihr.
    »Die Typen da waren eindeutig zu lange auf dem College.«
    »Ma sagt, ich muss auch aufs College.«
    Grandma verdreht die Augen. »Alles zu seiner Zeit. Jetzt erst mal den Pyjama an und Zähne putzen.«
    Sie liest mir Das Häschen, das weglief vor, aber das mag ich heute Abend nicht. Die ganze Zeit denke ich, dass ja vielleicht in Wahrheit die Hasenmutter weggelaufen ist und sich versteckt hat und das Häschen sie nicht mehr wiederfinden kann.
     
     
     
    Grandma will mir einen Fußball kaufen, das ist spannend. Ich gucke mir einen Plastikmann mit einem schwarzen Gummianzug und Flossen an, dann sehe ich einen großen Stapel Koffer in allen Farben, rosa und grün und blau zum Beispiel, und dann eine Rolltreppe. Ich trete wirklich nur eine Sekunde auf die erste Stufe, aber dann komme ich nicht mehr hoch, die Rolltreppe zoomt mich immer weiter runter, unheimlich cool und gleichzeitig auch gruselig, groolig, das ist ein Wörtersandwich, Ma würde das gefallen. Am Ende muss ich runterspringen, ich weiß nicht, wie es wieder hoch zu Grandma geht. Ich zähle fünfmal meine Zähne, einmal kriege ich neunzehn statt zwanzig raus. Überall sind Schilder und auf allen steht dasselbe: Nur noch drei Wochen bis Muttertag, hat sie nicht das Beste verdient? Ich gucke Teller an und Herde und Stühle, dann bin ich ganz labberig, deshalb lege ich mich auf ein Bett.
    Eine Frau sagt, das darf ich nicht, also setze ich mich wieder auf. »Wo ist denn deine Mom, Kleiner?«
    »Die ist in der Klinik, weil sie versucht hat, jetzt schon in den Himmel zu kommen.« Die Frau glotzt mich an. »Ich bin ein Bonsai.«
    »Was bist du?«
    »Wir waren eingesperrt und jetzt sind wir Rap-Stars.«
    »Oh mein Go… der Junge bist du? Der aus dem … Lorana!«, ruft sie. »Komm schnell her. Das glaubst du einfach nicht. Das ist dieser Junge, Jack, der vom Fernsehen, der aus dem Schuppen.«
    Eine andere Person kommt herbei, sie schüttelt den Kopf. »Der aus dem Schuppen war kleiner und hatte lange Haare in einem Pferdeschwanz, und er war ganz verhuscht.«
    »Das ist er«, sagt die andere. »Ich schwöre, das ist er.«
    »Nie im Leben«, sagt die andere.
    »Kommt nicht in die Tüte«, sage ich.
    Sie lacht und lacht. »Das ist ja krass. Kann ich ein Autogramm haben?«
    »Der kann doch noch gar nicht seinen Namen schreiben, Lorana.«
    »Kann ich doch«, sage ich. »Ich kann alles schreiben, was es gibt.«
    »Du bist mir ja einer«, sagt sie zu mir. »Stimmt’s?«, sagt sie zu der anderen.
    Das einzige Papier sind alte Etiketten von den Kleidern. Ich schreibe gerade auf ganz viele JACK , damit die Frauen die ihren Freunden schenken können, da kommt Grandma angelaufen, sie hat einen Ball unter dem Arm, und ich habe sie noch nie so böse gesehen. Sie schreit die Frauen an, irgendwas mit ausrufen lassen , und zerreißt meine Autogramme in kleine Stücke. Sie zerrt an meiner Hand. Als wir aus dem Geschäft laufen, macht das Tor aiiii aiiii , Grandma lässt den Fußball auf den Teppich fallen.
    Im Auto will sie mich nicht durch den Spiegel angucken, ich frage: »Warum hast du meinen Ball weggeworfen?«
    »Der hat den Alarm ausgelöst«, sagt Grandma, »weil ich nicht bezahlt hatte.«
    »Wolltest du ihn stehlen?«
    »Nein, Jack«, schreit sie, »ich bin wie eine Verrückte durch den ganzen Laden gerannt und habe dich gesucht.« Dann sagt sie

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