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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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Frankenstein.
    Als die Werbung kommt, bittet Ma mich, rüberzugehen und auf stumm zu drücken. Es kommt ein Mann mit einem gelben Helm, der ein Loch in die Straße bohrt, er hält sich den Kopf und verzieht das Gesicht. »Hat er Aua?«, frage ich.
    Sie sieht vom Nähen auf. »Bestimmt hat er Kopfschmerzen von dem lauten Schlagbohrer.«
    Wir können den Schlagbohrer nicht hören, weil es auf stumm steht. Der Fernseher-Mann steht am Becken und nimmt Pillen aus einem Fläschchen, im nächsten Moment lächelt er und wirft einem Jungen einen Ball zu. »Ma, Ma.«
    »Was?« Sie macht einen Knoten.
    »Das ist unsere Flasche. Hast du gesehen? Hast du den Mann mit dem Aua im Kopf gesehen?«
    »Nein.«
    »Die Flasche, aus der er die Pille genommen hat, ist genau die, die wir haben, die mit den Scherztabletten.«
    Ma starrt Fernseher an, aber jetzt zeigt er uns ein Auto, das um einen Berg herumrast.
    »Nein, vorher«, sage ich. »Er hatte wirklich unsere Flasche mit den Scherztabletten.«
    »Vielleicht war es einfach nur die gleiche wie unsere, aber unsere ist es nicht.«
    »Ist sie doch.«
    »Nein, davon gibt es viele.«
    »Wo?«
    Ma guckt erst mich an und dann wieder ihr Kleid, sie zupft am Saum. »Unsere Flasche steht jedenfalls da oben auf dem Regal, und die anderen sind …«
    »Im Fernseher?«, frage ich.
    Sie starrt auf die Fäden und wickelt sie um die kleinen Kartons, damit sie wieder in Nähzeug passen.
    »Weißt du was?« Ich hüpfe auf und ab. »Weißt du, was das heißt? Er muss in Fernseher gehen.« Der Doktorplanet kommt wieder, aber ich gucke gar nicht hin. »Old Nick«, sage ich, damit sie nicht glaubt, ich hätte den Mann mit dem gelben Helm gemeint. »Wenn er nicht hier ist, am Tag, weißt du, was dann? Dann geht er in Fernseher. Da hat er unsere Scherztabletten in einem Geschäft gekauft und sie uns gebringt.«
    »Gebracht«, sagt Ma und steht auf. »Gebracht, nicht gebringt. Zeit zum Schlafengehen.« Sie singt Indicate the Way to My Abode , aber ich singe nicht mit.
    Ich glaube nicht, dass sie kapiert, wie sensationell das ist. Die ganze Zeit über, als ich mein Schlaf-T-Shirt anziehe und meine Zähne putze, und sogar noch, als ich auf Bett was kriege, denke ich darüber nach. Ich nehme den Mund runter und sage: »Wie kommt es, dass wir ihn nie in Fernseher sehen?«
    Ma gähnt und setzt sich auf.
    »Jedes Mal, wenn wir gucken, sehen wir ihn nie, wieso?«
    »Er ist nicht da.«
    »Aber die Flasche, wie hat er die gekriegt?«
    »Weiß ich nicht.«
    Sie sagt das so komisch. Ich glaube, sie tut nur so. »Du musst es wissen. Du weißt doch alles.«
    »Hör mal, das spielt doch wirklich keine Rolle.«
    »Doch, es ist eine wichtige Willenssache.« Ich schreie beinahe.
    »Jack …«
    Jack was? Was soll Jack heißen?
    Ma legt sich wieder auf die Kissen. »Es ist sehr schwer zu erklären.«
    Ich glaube, sie kann es erklären, aber sie will nicht. »Du kannst es, weil ich jetzt nämlich fünf bin.«
    Ihr Gesicht sieht zu Türe. »Na schön, unsere Pillen waren früher tatsächlich mal in einem Geschäft. Da hat er sie geholt und sie uns als Sonntagsgutti mitgebracht.«
    »Ein Geschäft im Fernseher?« Ich sehe hoch zu Regal, ob da die Flasche noch steht. »Aber die Scherztabletten sind doch in echt …«
    »Es ist auch ein echtes Geschäft.« Ma reibt sich ein Auge.
    »Wie … ?«
    »Herrgott, ist ja schon gut.«
    Warum schreit sie denn?
    »Pass auf. Was wir im Fernsehen sehen … das sind Bilder von wirklichen Dingen.«
    Das ist das Verrückteste, was ich jemals gehört habe.
    Ma hat eine Hand über dem Mund.
    »Dora ist echt in echt?«
    Sie nimmt die Hand weg. »Nein, die nicht. Eine Menge Sachen im Fernsehen sind unechte Bilder … Dora ist zum Beispiel nur gezeichnet … aber die anderen Leute, die mit den Gesichtern, die aussehen wie deins und meins, die sind echt.«
    »Richtige Menschen?«
    Sie nickt. »Und die Orte sind auch echt, die Farmen zum Beispiel und die Wälder und Flugzeuge und Städte …«
    »Nie im Leben.« Warum veräppelt sie mich? »Wo sollen die denn hinpassen?«
    »Da draußen«, sagt Ma. »Ins Freie.« Sie wirft den Kopf zurück.
    »Draußen hinter Bettwand?« Ich glotze ihn an.
    »Draußen hinter Raum.« Sie zeigt jetzt in die andere Richtung, wo Herdwand ist. Ihre Finger machen einen Kreis.
    »Die Geschäfte und die Wälder düsen im Weltall rum?«
    »Nein. Vergiss es, Jack. Ich hätte gar nicht …«
    »Hättest du doch.« Ich schüttele ganz fest ihr Knie. »Ich will es

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