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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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wissen.«
    »Nicht heute Abend, ich finde nicht die richtigen Worte, um es dir zu erklären.«
    Alice sagt, sie kann es selbst nicht erklären, weil sie nicht sie selbst ist. Sie weiß noch, wer sie am Morgen war, aber seitdem hat sie sich ein paarmal verwandelt.
    Plötzlich steht Ma auf und holt die Scherztabletten von Regal. Ich glaube, sie will gucken, ob es auch dieselben sind wie die in Fernseher, aber sie macht das Fläschchen auf und isst eine und dann noch eine.
    »Findest du die Wörter denn morgen?«
    »Jack, es ist acht Uhr neunundfünfzig, geh jetzt bitte einfach schlafen.« Sie bindet den Abfallbeutel zu und stellt ihn neben Türe.
    Ich lege mich in Schrank, aber ich bin hellwach.
     
     
     
    Heute ist einer von den Tagen, wo Ma Verschwunden ist.
    Sie wacht nicht ordentlich auf. Sie ist zwar da, aber nicht richtig. Sie bleibt in Bett und hat das Kopfkissen überm Kopf.
    Peterchen steht hoch, ich drücke ihn runter.
    Ich esse meine hundert Cornflakes und stelle mich auf meinen Stuhl, damit ich die Schüssel und Weichlöffel abwaschen kann. Als ich das Wasser abdrehe, ist es ganz still. Ich frage mich, ob Old Nick in der Nacht gekommen ist. Ich glaube nicht, weil der Abfallbeutel immer noch neben Türe steht, aber vielleicht war er ja doch da und hat bloß den Abfall nicht mitgenommen. Vielleicht ist Ma gar nicht einfach nur Verschwunden. Vielleicht hat er ihren Hals noch fester zugedrückt, und jetzt ist sie …
    Ich gehe ganz dicht bei sie bei und horche, bis ich Atem höre. Ich bin nur ein paar Zentimeter weit weg, meine Haare berühren Mas Nase, und sie tut die Hand über ihr Gesicht, deshalb mache ich einen Schritt zurück.
    Alleine baden tue ich nicht, ich ziehe mich einfach nur an.
    Es kommen Stunden und Stunden, Hunderte von Stunden.
    Ma steht zum Pinkeln auf, sagt aber nichts, ihr Gesicht ist ganz leer. Ich habe schon ein Glas Wasser neben Bett gestellt, aber sie kriecht einfach nur wieder unter Zudeck.
    Ich kann es nicht leiden, wenn sie Verschwunden ist, aber dass ich den ganzen Tag Fernseher gucken kann, finde ich gut. Am Anfang mache ich es ganz leise und dann immer ein bisschen lauter. Bei zu viel Fernseher kann ich mich in einen Zombie verwandeln, aber heute ist Ma der Zombie, dabei guckt sie noch nicht mal. Es kommen Bob der Baumeister und Wonder Pets und Barney und seine Freunde . Jedes Mal stehe ich auf und berühre sie zur Begrüßung. Barney und seine Freunde umarmen sich ganz oft, dann renne ich immer hin und will mittenrein, aber manchmal bin ich zu spät. Heute geht es um eine Fee, die durch die Nacht schleicht und alte Zähne in Geld verwandelt. Ich will Dora haben, aber die kommt nicht.
    Donnerstag heißt Wäsche waschen, aber ganz allein schaffe ich das nicht, und Ma liegt ja immer noch auf den Laken.
    Als ich wieder Hunger kriege, gucke ich auf Uhr, aber er zeigt erst 09:47. Zeichentrick ist vorbei, deshalb gucke ich Football und den Planeten, wo die Leute Preise gewinnen. Die Frau mit den plusterigen Haaren ist auf ihrem roten Sofa und redet mit einem Mann, der früher mal ein Golfstar war. Es gibt auch noch einen anderen Planeten, wo Frauen Halsketten hochhalten und sagen, wie vorzüglich sie sind. »Schwachköpfe«, sagt Ma immer, wenn sie diesen Planeten sieht. Heute sagt sie nichts, sie merkt gar nicht, dass ich gucke und gucke und mein Gehirn schon anfängt zu müffeln.
    Wie können die Bilder von Sachen in Fernseher denn in echt sein?
    Ich stelle mir sie vor, wie sie da alle im Draußen hinter den Wänden herumschwirren, das Sofa und die Halsketten und das Brot und die Scherztabletten und die Flugzeuge und die Sies und Ers, die Boxer und der Mann mit dem einem Bein und die Frau mit den plusterigen Haaren, alle zoomen sie an Oberlicht vorbei. Ich winke ihnen zu, aber da sind auch Wolkenkratzer und Kühe und Schiffe und Laster, es ist rammelvoll da draußen, ich zähle das ganze Zeug, das vielleicht in Raum fällt. Ich kann nicht richtig atmen und muss anstatt meine Zähne zählen, von links nach rechts oben und dann von rechts nach links unten, dann wieder zurück, jedes Mal sind es zwanzig, aber ich denke trotzdem noch, dass ich vielleicht falsch zähle.
    Als es 12:04 ist, kann das Mittagessen passieren, also schneide ich eine Dose Baked Beans auf, schön vorsichtig. Ich frage mich, ob Ma wohl aufwachen würde, wenn ich mir die Hand geschneidet hätte und Hilfe schreien würde. Ich habe noch nie kalte Bohnen gegessen. Ich esse neun, dann habe ich keinen Hunger mehr. Den

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