Raum
Leute.«
Ich versuche mir sie vorzustellen, wie sie alle zusammen spielen. »Richtig menschliche?«
Ma sagt einen Moment lang nichts, und dann sagt sie ganz leise: »Ja.« Also hat alles gestimmt, was sie erzählt hat.
Die Flecken an ihrem Hals sind immer noch da. Ich frage mich, ob die überhaupt noch mal weggehen.
In der Nacht blinkt sie, es weckt mich in Bett auf. Lampe an, ich zähle bis fünf, Lampe aus, ich zähle bis eins, Lampe an, ich zähle bis zwei. Ich lasse einen Stöhner raus.
»Nur noch ein kleines bisschen.« Sie starrt immer noch zu Oberlicht rauf, der ist ganz schwarz.
Neben Türe steht kein Abfallbeutel, das heißt, er muss da gewesen sein, als ich geschlafen habe. »Bitte, Ma.«
»Sofort.«
»Es tut mir in den Augen weh.«
Sie beugt sich über Bett, gibt mir einen Kuss neben meinen Mund und zieht Zudeck über mein Gesicht. Das Licht blinkt immer noch, aber dunkler.
Nach einer Weile kommt sie zurück in Bett und gibt mir was, damit ich wieder einschlafen kann.
Am Samstag macht Ma mir zur Abwechslung drei Zöpfe, die fühlen sich komisch an. Ich wackle mit dem Kopf und haue mich damit.
Heute Morgen gucke ich nicht den Zeichentrickplaneten, anstatt suche ich mir ein bisschen Gärtnerei und einmal Fitness und einmal Nachrichten aus. Bei allem, was ich sehe, frage ich: »Ma, ist das in echt?«, und sie sagt Ja, außer an der Stelle über einen Film mit Werwölfen und einer Frau, die platzt wie ein Ballon, das sind nur Spezialeffekte, also Malen auf Computern.
Das Mittagessen ist eine Dose Kichererbsen-Curry und außerdem Reis.
Ich würde gern noch mal superlaut Geschrei spielen, aber an Wochenenden dürfen wir das nicht.
Fast den ganzen Nachmittag spielen wir das Fadenspiel, wir können schon den Diamanten machen und die Krippe und die Stricknadeln und üben weiter am Skorpion, bloß hängt da am Ende immer Mas Finger fest.
Das Abendessen sind Mini-Pizzas, eine für jeden, und eine wird geteilt. Danach gucken wir einen Planeten, wo Personen ganz viele zipfelige Sachen anhaben und riesige weiße Haare. Ma sagt, die sind in echt, aber sie tun so, als wären sie Leute, die schon vor Hunderten von Jahren gestorben sind. Es ist so eine Art Spiel, aber besonders lustig hört es sich nicht an.
Sie schaltet Fernseher aus und schnüffelt herum. »Ich kann immer noch das Curry von heute Mittag riechen.«
»Ich auch.«
»Gut geschmeckt hat es, aber es ist eklig, dass man den Geruch nicht loswird.«
»Meins hat auch eklig geschmeckt«, sage ich.
Sie lacht. Die Flecken an ihrem Hals werden weniger, jetzt sind sie irgendwie grün und gelb.
»Erzählst du mir eine Geschichte?«
»Welche?«
»Eine, die du mir noch nie erzählt hast.«
Ma lächelt mich an. »Ich glaube, inzwischen kennst du alles, was ich kenne. Der Graf von Monte Christo ?«
»Den habe ich schon eine Million Mal gehört.«
»Gulliver in Lilliput?«
»Zillionen Mal.«
»Nelson auf Robben Island?«
»Dann kam er nach siebenundzwanzig Jahren heraus und wurde die Regierung.«
»Goldlöckchen?«
»Macht mir zu viel Angst.«
»Die Bären knurren doch nur«, sagt Ma.
»Trotzdem.«
»Prinzessin Diana?«
»Die hätte sich besser mal angeschnallt.«
»Siehst du, du kennst alle.« Ma pustet die Luft aus den Backen. »Momentchen, da gibt es noch eine über eine Meerjungfrau …«
»Die kleine Meerjungfrau.«
»Nein, eine andere. Diese Meerjungfrau hier sitzt eines Abends auf den Felsen und kämmt ihr Haar, da kommt ein Fischer angeschlichen und fängt sie in seinem Netz.«
»Will er sie zum Abendessen braten?«
»Nein, nein, er nimmt sie mit nach Hause in seine Hütte, und sie muss ihn heiraten«, sagt Ma. »Er versteckt ihren Zauberkamm, damit sie nie mehr zurück ins Meer kann. Nach einer Zeit bekommt die Meerjungfrau ein Baby …«
»Das heißt JackerJack«, rufe ich.
»Genau. Aber jedes Mal, wenn der Fischer zum Fischen weg ist, sucht sie die Hütte ab, und eines Tages findet sie heraus, wo er ihren Kamm versteckt hat …«
»Haha.«
»Und sie läuft weg zu den Felsen und gleitet ins Meer hinein.«
»Nein.«
Ma guckt in mein Gesicht. «Gefällt dir die Geschichte nicht?«
»Sie soll nicht weg sein.«
»Ist doch alles gut.« Sie holt mit ihrem Finger die Träne aus meinem Auge. »Ich habe vergessen zu sagen, dass sie natürlich ihr Baby JackerJack mitnimmt, den hat sie sich ganz fest ins Haar geknotet. Und als der Fischer zurückkommt, ist die Hütte leer, und er sieht die beiden nie
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