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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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Augen gucken durch die Wände.
    Im Draußen gibt es alles. Immer wenn ich jetzt an etwas denke, an Schi zum Beispiel oder Feuerwerk oder Inseln oder Fahrstühle oder Jo-Jos, dann fällt mir ein, dass sie in echt sind, dass sie wirklich im Draußen passieren, alle zusammen. Das macht mir den Kopf müde. Und dann auch noch Leute, Feuerwehrmänner Lehrer Diebe Babys Heilige Fußballspieler und noch ganz andere, die sind alle wirklich im Draußen. Ich bin da aber nicht. Ma und ich, wir sind die Einzigen, die da nicht sind. Sind wir noch in echt?
    Nach dem Abendessen erzählt Ma mir Hänsel und Gretel und Wie die Berliner Mauer fiel und Rumpelstilzchen . Ich mag die Stelle, wo die Königin den Namen von dem Zwerg raten muss, oder sonst nimmt er ihr Baby mit. »Sind Geschichten wahr?«
    »Welche?«
    »Die von der Meerjungfrauenmutter und von Hänsel und Gretel und überhaupt alle.«
    »Na ja«, sagt Ma, »nicht wortwörtlich.«
    »Was ist …«
    »Sie sind Zauberei, sie handeln nicht von wirklichen Personen, die heute herumlaufen.«
    »Dann sind sie also Schwindel?«
    »Nein, nein. Geschichten haben eine andere Wahrheit.«
    Mein Gesicht ist ganz verknautscht, so schwer ist das zu verstehen. »Ist die Berliner Mauer wahr?«
    »Früher gab es da mal eine Mauer, aber die ist nicht mehr da.«
    Ich bin so müde, dass ich glaube, gleich zerreiße ich in zwei Teile wie Rumpelstilzchen am Ende.
    »Gute Nacht«, sagt Ma und macht die Türen von Schrank zu. »Machst du schnell die Äuglein zu, geben alle Läuse Ruh.«
     
     
     
    Ich wusste nicht, dass ich abgeschaltet war, aber dann ist Old Nick da, und er ist ganz laut.
    »Aber Vitamine …«, sagt Ma gerade.
    »Halsabschneiderei.«
    »Willst du denn, dass wir krank werden?«
    »Alles nur ein Riesenschwindel«, sagt Old Nick. »Ich hab da mal einen Enthüllungsbericht gesehen, die landen doch alle nur im Klo.«
    Wer landet im Klo?
    »Es ist doch nur … wenn unsere Ernährung reichhaltiger wäre …«
    »Ach, das musste ja kommen. Maunz maunz maunz …« Ich kann ihn durch die Ritzen sehen, er sitzt auf der Ecke von Wanne.
    Mas Stimme wird wütend. »Ich wette, unser Unterhalt kostet weniger als der für einen Hund. Wir brauchen ja nicht mal Schuhe.«
    »Du hast doch keine blasse Ahnung mehr, was heute in der Welt da draußen los ist. Was glaubst du eigentlich, wo das ganze Geld immer noch herkommt?«
    Keiner sagt was. Dann Ma: »Was meinst du damit? Geld im Allgemeinen oder …«
    »Sechs Monate schon.« Er hat die Arme verschränkt, sie sind riesig. »Vor sechs Monaten bin ich gefeuert worden. Und da musst du mir noch mit den Sorgen kommen, die du dir in deinem hübschen kleinen Köpfchen zurechtlegst?«
    Ich kann auch Ma durch die Ritzen sehen, sie ist fast neben ihm.
    »Was ist passiert?«
    »Spielt doch keine Rolle.«
    »Suchst du dir neue Arbeit?«
    Sie starren sich an.
    »Hast du Schulden?«, fragt sie. »Wie willst du denn … ?«
    »Halt die Klappe.«
    Ich will es gar nicht, aber ich habe so große Angst, dass er ihr wieder wehtut, dass der Ton einfach aus mir rausplatzt.
    Old Nick sieht genau in meine Richtung, er macht einen Schritt und dann noch einen und noch einen, dann klopft er an die Latten. Ich sehe seine Hand dunkel werden. »He, du da drinnen.«
    Er spricht mit mir. Meine Brust macht bumm bumm . Ich umklammere meine Knie und beiße die Zähne zusammen. Ich will unter Mummeldecke kriechen, aber ich kann nicht. Ich kann gar nichts.
    »Er schläft«, sagt Ma.
    »Lässt sie dich Tag und Nacht in dem Schrank da?«
    Mit dich bin ich gemeint. Ich warte, dass Ma Nein sagt, aber sie macht es nicht.
    »Das ist doch nicht normal.« Ich kann in seine Augen gucken, sie sind ganz hell. Kann er mich sehen? Verwandle ich mich jetzt zu Stein? Was, wenn er die Tür aufmacht? Ich glaube, da würde ich …
    »Irgendwas stimmt hier nicht«, sagt er zu Ma. »Seit dem Tag, als er geboren wurde, hast du ihn mich noch nicht ein einziges Mal richtig ansehen lassen. Hat die arme kleine Missgeburt zwei Köpfe oder so was?«
    Warum hat er das gesagt? Am liebsten würde ich meinen einen Kopf aus Schrank stecken, nur um ihn ihm zu zeigen.
    Aber da steht schon Ma vor den Ritzen, ich kann die Knubbel von ihren Schulterblättern durch das T-Shirt sehen. »Er ist nur ängstlich.«
    »Vor mir braucht er keine Angst zu haben«, sagt Old Nick. »Ich habe ihm noch nie ein Haar gekrümmt.«
    Warum sollte er mir ein Haar krümmen?
    »Hab ihm doch sogar diesen schicken Jeep gekauft, oder? Mit

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