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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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ratsamste …«
    »Jack, es gibt wunderbare Neuigkeiten«, unterbricht Ma ihn. Sie hält Bilder hoch. Ich muss gar nicht näher hingehen, ich sehe auch so, wer es ist, nämlich Old Nick. Dasselbe Gesicht wie an dem Abend, als ich in Bett zu ihm hingelinst habe, aber jetzt hat er ein Etikett um den Hals, und er steht an Zahlen so wie die, mit denen wir am Geburtstag immer mein Groß aufgemalt haben, er ist beinahe bei 180, aber nicht ganz. Es gibt ein Bild, da guckt er auf die Seite, und eins, da guckt er mich an.
    »Irgendwann in der Nacht hat die Polizei ihn geschnappt und ins Gefängnis gesperrt«, sagt Ma, »und da bleibt er auch.«
    Ich frage mich, ob der braune Laster auch im Gefängnis ist.
    »Wenn Sie ihn jetzt sehen, löst das bei Ihnen irgendwelche der Symptome aus, über die wir gesprochen haben?«
    Sie verdreht die Augen. »Glauben Sie etwa, nach sieben Jahren mit dem Original gehe ich jetzt bloß wegen eines Fotos in die Knie?«
    »Was ist mit dir, Jack? Wie fühlt sich das an?«
    Ich weiß keine Antwort.
    »Ich frage dich jetzt was«, sagt Dr. Clay, »aber du musst nur antworten, wenn du willst, okay?«
    Ich sehe erst ihn an und dann wieder die Bilder. Old Nick hängt in den Zahlen fest und kann nicht raus.
    »Hat dieser Mann irgendwann mal Sachen gemacht, die dir nicht gefallen haben?«
    Ich nicke.
    »Kannst du mir sagen, was er gemacht hat?«
    »Er hat den Strom abgeschneidet, und das Gemüse ist glibberig geworden.«
    »Verstehe. Hat er dir auch mal wehgetan?«
    Ma sagt: »Hören Sie …«
    Dr. Clay hebt eine Hand hoch. »Niemand zweifelt an Ihren Worten«, sagt er ihr. »Aber ich denke an die Nächte, wenn Sie geschlafen haben. Ich würde meinen Job nicht ordentlich machen, wenn ich nicht Jack selbst frage, oder?«
    Ma pustet ganz lange die Luft aus den Backen. »Es ist okay«, sagt sie mir, »du kannst antworten. Hat Old Nick dir je wehgetan?«
    »Ja«, sage ich, »zwei Mal.«
    Sie starren mich beide an.
    »Als ich die spannende Flucht gemacht habe, hat er mich in den Laster geworfen und dann noch mal auf der Straße, beim zweiten Mal hat es am allerdollsten wehgetan.«
    »In Ordnung«, sagt Dr. Clay. Er lächelt. Ich weiß nicht, warum. »Ich spreche gleich anschließend mit dem Labor und höre mal nach, ob die von Ihnen beiden noch weitere DNA -Proben brauchen«, sagt er Ma.
    » DNA ?« Sie hat schon wieder diese verrückte Stimme. »Glauben Sie vielleicht, ich hatte noch andere Besucher?«
    »Ich glaube, dass es bei Gericht nun mal so zugeht. Jeder Punkt muss abgehakt werden.«
    Ma saugt ihren ganzen Mund nach innen, bis ihre Lippen unsichtbar sind.
    »Jeden Tag werden irgendwelche Teufel wegen irgendeines Formfehlers laufen gelassen.« Er hört sich jetzt richtig böse an. »Kapiert?«
    »Kapiert.«
    Als er weg ist, reiße ich mir die Maske runter und frage: »Ist er böse auf uns?«
    Ma schüttelt den Kopf. »Er ist böse auf Old Nick.«
    Ich wusste gar nicht, dass Dr. Clay ihn überhaupt kennt. Ich dachte immer, wir sind die Einzigen.
    Ich gucke auf das Tablett, das Noreen gebringt hat. Hunger habe ich keinen, aber als ich Ma frage, sagt sie, es ist nach ein Uhr. Das ist ja sogar fürs Mittagessen schon zu spät, Mittagessen muss es immer so um zwölf geben, aber in meinem Bäuchlein ist überhaupt noch kein Platz.
    »Gar nicht schlimm«, sagt Ma. »Hier ist eben alles anders.«
    »Aber was ist die Regel?«
    »Es gibt keine Regel. Wir können um zehn Uhr zu Mittag essen oder auch um drei Uhr in der Nacht.«
    »Ich will nicht in der Nacht mittagessen.«
    Ma pustet die Luft aus den Backen. »Dann machen wir uns eben eine neue Regel, wann wir mittagessen … irgendwann zwischen zwölf und zwei. Und wenn wir keinen Hunger haben, lassen wir es einfach aus.«
    »Wie lassen wir es aus?«
    »Wir essen einfach nichts. Null.«
    »Okay.« Ich habe nichts dagegen, null zu essen. »Aber was macht Noreen dann mit dem Essen?«
    »Sie wirft es weg.«
    »Das ist doch Verschwendung.«
    »Stimmt, aber es muss trotzdem in den Müll, weil es … weil es irgendwie schmutzig ist.«
    Ich gucke das ganze bunte Essen auf den blauen Tellern an. »Sieht überhaupt nicht schmutzig aus.«
    »Ist es eigentlich auch nicht, aber sonst will es hier keiner mehr, wenn es schon mal auf unseren Tellern war«, sagt Ma. »Mach dir keine Gedanken darüber.«
    Andauernd sagt sie, dass ich mir keine Gedanken machen soll.
    Ich gähne so feste, dass ich beinahe umfalle. Ich frage, ob wir noch mal schlafen können, und Ma sagt,

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