Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
Vom Netzwerk:
doch sogar umsonst als Babysitterin …«
    Sie reden und reden. Ich gucke unter mein Pflaster, um zu sehen, ob mein Finger immer noch abfällt. Die roten Flecken sind jetzt krustig.
    Luft kommt rein. Da ist ein Gesicht in der Tür, ein Gesicht mit überall Bart, auf den Backen und am Kinn und unter der Nase, nur nicht am Kopf.
    »Ich hatte der Schwester doch gesagt, wir wollen nicht gestört werden«, sagt Ma.
    »Ähm, das ist Leo«, sagt Grandma.
    »Hallo«, sagt er und wackelt mit den Fingern.
    »Wer ist Leo?«, fragt Ma und lächelt gar nicht mehr.
    »Eigentlich sollte er im Flur warten.«
    »No problemo« , sagt Leo und dann ist er nicht mehr da.
    »Wo ist Dad?«, fragt Ma.
    »Im Moment noch in Canberra, aber er ist schon auf dem Weg«, sagt Grandma. »Es hat sich vieles verändert, mein Schatz.«
    »Canberra?«
    »Ach Schatz, das ist wahrscheinlich alles noch zu viel für dich …«
    Es stellt sich heraus, dass die haarige Leo-Person gar nicht in echt mein Grandpa ist, der wirkliche ist wieder nach Australien zurückgegangen, als er dachte, Ma wäre tot, er hat sogar ein Begräbnis für sie machen lassen, Grandma war deshalb wütend auf ihn, weil sie nie die Hoffnung aufgegeben hatte. Sie hat sich immer gesagt, dass ihr Liebling bestimmt ihre Gründe hatte zu verschwinden und dass sie zwei sich eines schönen Tages wiedersehen würden.
    Ma guckt sie an. »Eines schönen Tages?«
    »Wieso, ist das denn etwa keiner?« Grandma winkt zum Fenster hin.
    »Was für Gründe hätte ich …«
    »Ach, was haben wir uns das Hirn zermartert. Ein Sozialarbeiter hat uns damals gesagt, dass junge Leute in deinem Alter manchmal aus heiterem Himmel verschwinden. Wegen Drogen vielleicht. Ich habe dein ganzes Zimmer auf den Kopf gestellt …«
    »Ich hatte einen Notendurchschnitt von 1,7!«
    »Und ob du den hattest, du warst ja auch unser ganzer Stolz.«
    »Ich wurde von der Straße weg gekidnappt!«
    »Ja, jetzt weiß ich das auch. Wir haben überall in der Stadt Plakate aufgehängt, Paul hat eine Webseite eingerichtet. Und die Polizei hat mit jedem gesprochen, den du vom College und aus der Highschool kanntest, um herauszufinden, mit wem du dich sonst noch herumgetrieben hast, den wir nicht kannten. Andauernd dachte ich, ich hätte dich gesehen, es war die reinste Folter«, sagt Grandma. »Manchmal habe ich neben irgendwelchen Mädchen angehalten und gehupt, aber dann waren es doch jedes Mal nur irgendwelche Fremden. An deinem Geburtstag habe ich immer deinen Lieblingskuchen gebacken, nur für den Fall, dass du plötzlich hereinschneist. Weißt du noch, den Schoko-Bananen-Kuchen?«
    Ma nickt. Sie hat überall Tränen im Gesicht.
    »Ohne Tabletten konnte ich überhaupt nicht mehr schlafen. Die Ungewissheit hat mich innerlich regelrecht aufgefressen. Dein Bruder hat darunter ziemlich leiden müssen. Wusstest du, dass … aber woher solltest du das denn wissen? … Paul hat ein kleines Mädchen, sie ist fast drei und geht schon allein aufs Töpfchen. Seine Lebensgefährtin ist ganz zauberhaft, eine Radiologin.«
    Sie reden noch eine Menge mehr, meine Ohren sind vom Zuhören ganz müde. Dann kommt Noreen rein mit Pillen für uns und einem Glas Saft, nicht Orange, es ist Apfel und das Beste, was ich jemals getrunken habe.
    Grandma fährt jetzt in ihr Haus. Ich frage mich, ob sie in der Hängematte schläft. »Soll ich … Leo könnte doch nur mal schnell reinkommen und Guten Tag sagen«, sagt sie, als sie an der Tür ist.
    Ma sagt erst gar nichts. Und dann: »Vielleicht beim nächsten Mal.«
    »Wie du willst. Die Ärzte sagen ja auch, du sollst es langsam angehen lassen.«
    »Was langsam angehen lassen?«
    »Na, alles eben.« Grandma dreht sich zu mir rum. »Jack, kennst du denn schon das Wort ›Wiedersehen‹?«
    »Ich kenne alle Wörter«, erkläre ich ihr.
    Da muss sie lachen und lachen.
    Sie küsst sich auf ihre eigene Hand und pustet dann zu mir. »Fängst du ihn?«
    Ich glaube, sie will, dass ich so tue, als ob ich den Kuss fange, also mache ich es, und sie freut sich, noch mehr Tränen.
    »Warum hat sie gelacht, als ich gesagt habe, dass ich alle Wörter kenne? Das war gar kein Witz«, sage ich Ma danach.
    »Ach, das macht nichts, es ist immer gut, wenn man die Leute zum Lachen bringt.«
    Um 06:12 bringt Noreen ein ganz neues Tablett, das ist das Abendessen. Wir können also um fünf Uhr rum oder um sechs Uhr rum oder sogar um sieben Uhr rum zu Abend essen, sagt Ma. Es gibt irgendwas knackiges Grünes, das ist Rucola

Weitere Kostenlose Bücher