Raumfahrergarn
nicht wohl dabei fühlen, wenn ich den ganzen Tag herumsäße und darauf wartete, daß Sie von der Arbeit kommen. Ich käme mir nutzlos vor.«
Coromell räusperte sich. »Haben Sie sich nicht im medizinischen Zentrum um einen Job beworben? Sie könnten dort arbeiten, bis Sie beschlossen haben, wie es weitergehen soll. Ahm … das Zentrum hat mich angerufen und gefragt, ob Sie zur Verfügung stehen. Man nimmt offenbar an, daß Sie schon zur Flotte gehören. Sie haben noch andere erstaunliche Talente. Sie haben meinem Vater zugehört, der so gern Zeit mit Ihnen verbringt. In seinem Alter gibt es nur wenige Menschen, mit denen er sich unterhalten kann.« Coromell machte ein hoffnungsvolles Gesicht, ein Ausdruck, der überhaupt nicht zu seiner Uniform und seinem Rang paßte.
Ihr letzter Widerstand verflog. Sie konnte den alten Admiral Coromell nur zu gut verstehen. »Also gut. Von den Angeboten, die mir am Raumhafen gemacht wurden, hat mir keines zugesagt. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich bleibe. Ich fühle mich einfach wohl.«
»Ich mag Sie, Doktor Lunzie.«
»Ich mag Sie auch, Admiral Coromell.« Sie drückte seine Hand, und sie saßen eine Zeitlang schweigend beieinander und genossen einfach das leise Plätschern des Bachs und das Vogelzwitschern in der Wärme des Nachmittags.
Von da an verbrachten sie soviel Zeit wie möglich miteinander. Coromell verbrachte einen entspannenden Nachmittag am liebsten, indem er einen Spaziergang machte, einige Stunden lang Musik hörte oder im 3d ein Klassikkonzert anschaute. Sie hörten zusammen Musik, lasen gemeinsam und unterhielten sich über ihre Lieblingsschriftsteller und -komponisten. Lunzie war gern mit ihm zusammen. Er war immer wieder sehr angespannt, wenn sie sich trafen, wurde aber schnell locker, wenn er den Tag hinter sich gelassen hatte. Ihre Beziehung war eine ganz andere als zwischen ihr und Tee. Coromell erwartete von ihr, daß sie ihre Meinung sagte, und hielt an seiner eigenen fest, selbst wenn sie davon abwich. Er war ungemein höflich, wie es von einem Offizier und Gentleman erwartet wurde, aber er konnte sehr störrisch sein. Selbst wenn sie in eine offene Meinungsverschiedenheit gerieten, fand Lunzie es erfrischend, daß er sich im Gegensatz zu Tee ihren Vorlieben nicht selbstlos beugte. Coromell vertraute ihr seine ehrlichen Ansichten an und erwartete dasselbe von ihr.
Coromell arbeitete unregelmäßig. Wenn Piraten gesichtet wurden, wurde er mit Berichten überschüttet, die bis ins letzte Detail analysiert werden mußten. Er hatte noch andere Pflichten, die man bisher noch keinem untergeordneten Offizier überantwortet hatte und die ihn manchmal vier oder fünf Schichten am Stück an den Schreibtisch fesselten. Lunzie, die noch keinen dauerhaften Posten annehmen wollte, hatte soviel Zeit für sich, daß nicht einmal ihre Übungen in mentaler Disziplin sie ganz ausfüllen konnten.
Coromell wußte, daß sie den Adeptenstatus in mentaler Disziplin hinter sich gelassen hatte. Auf sein Drängen hin und mit persönlicher Empfehlung des Gruppenmeisters schloß sie sich einem Fortgeschrittenenkurs an, der in einer Sporthalle tief im FES-Komplex stattfand.
Es nahmen zwei bis drei weitere Schüler an den Meditationssitzungen teil, aber es wurden nie Namen genannt, deshalb hatte sie keine Ahnung, wer sie waren. Ihre Vermutung, daß es sich um hochrangige Staffeloffiziere in der Flotte oder um altgediente Diplomaten handelte, wurde nie bestätigt oder entkräftet. Der Meister führte sie in faszinierende Methoden der geistigen Sammlung ein, die auf früheren, sogar einem Anfänger vertrauten Techniken aufbauten. Wer mit Hilfe mentaler Disziplin die Aufnahmefähigkeit seiner Sinne steigerte und der Entwicklung des Trancezustands einer Person folgte, konnte detaillierte posthypnotische Suggestionen hinterlassen. Die verkürzte Form der Tranceherbeiführung war erstaunlich in ihrer Einfachheit.
»Das wäre eine enorme Hilfe bei chirurgischen Eingriffen vor Ort«, bemerkte Lunzie am Ende einer Privatsitzung. »Ich könnte einen Patienten dazu bringen, daß er die schlechten Bedingungen ignoriert und ganz ruhig bleibt.«
»Ihr Patient würde Ihnen immer noch vertrauen müssen. Ein starker Wille kann jeden Suggestionsversuch vereiteln, wie Sie sicher wissen. Dasselbe gilt für Panik«, warnte sie der Meister und sah ihr in die Augen. »Betrachten Sie diese Technik nicht als eine Waffe, eher als ein Werkzeug. Der Rat der Adepten wäre nicht erfreut
Weitere Kostenlose Bücher