Raumzeit - Provokation der Schoepfung
auf dem bleichen Kies der Auffahrt und wären da nicht die betont unauffälligen Herren mit ihren Kommunikationsgeräten. Eine breite Freitreppe führt zum Eingangsportal.
Das gesamte Areal mit dem prächtigen Gebäude gehört zum Besitz der International Time Travel Agency mit dem Hauptquartier in Genf. Durch seine Abgelegenheit eignet es sich vorzüglich für die Tagungen und Konferenzen der Ratsmitglieder. Heute findet die Konferenz im großen Saal statt. Hier prallen zwei Welten aufeinander. Die Reminiszenzen vergangener Zeiten, wie Herrscherporträts italienischer Meister und Genreszenen niederländischer Barockmaler, wertvolle flämische Gobelins mit höfischen Szenen und die prachtvolle Kassettendecke aus der Renaissance mit ihrem reichen Intarsienschmuck und den eingelegten Wappen einerseits – und andererseits Holophone, Präsentationsgrafik auf Holoschirmen, Quantencomputersysteme und kryptografische EPR-Nachrichtentransfergeräte, die absolut abhörsicher sind.
Acht Männer und vier Frauen sitzen um den schweren, dunkelgrauen Konferenztisch, in dessen Platte für jeden Teilnehmer ein Bildschirm eingelassen ist. In der Mitte steht eine kleine Fahne mit dem Emblem des ITTA-Rates: ein dunkelrotes, geometrisches RaumZeit-Diagramm, umschlossen von einem blauen Kreis. Es stehen Gläser und Getränkeflaschen bereit. Die Teilnehmer des ITTA-Rates vertreten Politik, Wissenschaft und führende Wirtschaftskonzerne. Die verschiedensten Hautfarben sind vertreten.
»Meine Damen, meine Herren, wir eröffnen nun unsere Sitzung«, sagt Professor Benjamin Tamam, ein kräftiger, untersetzter Mann mit Kraushaar. »Die Notwendigkeit für dieses Treffen hat sich dadurch ergeben, dass wir mit unserer Experimentalanlage in Australien einen geradezu fantastischen Durchbruch erreicht haben.« Tamam macht eine bedeutungsvolle Pause und blickt zu den Teilnehmern über den Rand seiner Brille. Diese starren erwartungsvoll den Vorsitzenden an. Tamam scheint die atemlose Spannung im Raum sichtlich zu genießen und fährt schließlich fort: »Es ist uns zum ersten Mal gelungen, geschlossene Zeitschleifen zu erzeugen.«
Ein fassungsloses Raunen geht durch den Konferenzsaal, das zu einem aufgeregten Stimmengewirr anschwillt. »Ruhe! Ich bitte um Ruhe!« Ein gutaussehender Afroamerikaner im hellgrauen Anzug meldet sich zu Wort: »Soll das heißen, Professor Tamam, dass es tatsächlich gelungen ist, durch die geschlossene Zeitschleife ein Portal zur Vergangenheit zu öffnen, oder auch in die Zukunft?«
Die attraktive Französin mittleren Alters, Dr. Jeanine Boucher, mischt sich ein. »Das würde bedeuten, wir sind nunmehr in der Lage, Zeitreisen durchzuführen, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben?«
»Im Prinzip, ja.« Tamam zögert. »Aber bitte, bedenken Sie, wir sind noch in der Experimentalphase. Wir sind ja heute hier zusammengekommen, um die Konsequenzen zu diskutieren und uns über die weitere Vorgehensweise zu beraten.«
Eugene Harris, der einen großen Energiekonzern vertritt, greift nach einem Glas, schenkt sich Orangensaft ein und sagt mit texanischem Akzent: »Ladies and gentlemen, wir haben Milliarden in dieses Projekt investiert. Nun müssen wir das Ganze auch nutzen. Es eröffnen sich doch fantastische Möglichkeiten. Stellen Sie sich vor, was wir alles erreichen können! All die Korrekturen, die wir zu unserem Nutzen in der Vergangenheit durchführen könnten!«
»Um Gottes Willen! Halt, halt!«, unterbricht der indische Professor Srishant Chandraseka. »Noch sind wir nicht so weit. Auch wenn es uns gelingt, einen Chrononauten in die Vergangenheit zu schicken, wissen wir nicht, ob er die Zeitreise überlebt und welche Paradoxa er im Zeitgefüge verursachen würde.«
»Überleben schon«, stellt der Physiker Professor Gerd Weber fest und drückt auf einen Knopf. Ein Hologramm der Zeitreiseanlage erscheint zwischen den Teilnehmern. Es sind zwei rotierende Kugeln innerhalb riesiger silbernschimmernder Ringe, zwischen denen ein scheibenförmiges Objekt schwebt. »In der Zeitkapsel zwischen den rotierenden Kugeln ist unser Chrononaut sicher aufgehoben. Und durch die geschlossene Zeitschleife kann er auch wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren.«
Sir Nigel Callaghan, Präsident der Globalen Union (GU) zupft sanft an seinem gepflegten grauen Schnurrbart und räuspert sich. »Wir sind doch bisher immer davon ausgegangen« – sein Oxford-Akzent ist makellos –, »dass man nicht weiter zurückreisen kann als zu
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