Raumzeit - Provokation der Schoepfung
Zivilisation, ethische und moralische Grundsätze zu vertreten, um das Überleben ihrer Art zu sichern. Aber an eine personifizierte kosmische Autorität, die Sie als Gott bezeichnen, glauben wir nicht.«
Der Journalist macht eine resignierte Handbewegung und verschwindet im gleißenden Sonnenlicht New Mexicos.
12 Jagd auf Alpha
Ort: University of Texas, Austin, USA. Zeit: Kurz vor der Jahrtausendwende
Die unbarmherzige Texassonne taucht das rote Backsteingebäude des Universitätskomplexes in ein glühendes Farbspektrum. Der heiße Wind bläht mein Jackett auf, während ich dem Eingang zustrebe. Bevor ich den Lift betrete, streiche ich kurz über meine zerzausten Haare. Ich verlasse den Aufzug im neunten Stock und suche in dem langen, kühlen Flur die Tür zum Nobelpreisträger der Physik, Steven Weinberg. Sie ist nicht zu verfehlen, denn die warnende Aufschrift »Kein Zutritt für Esoteriker, Astrologen und Parapsychologen« kann kaum übersehen werden. Eigentlich, überlege ich, hat er versäumt, die Vertreter von Religionen beziehungsweise die Theologen mit aufzuführen, denn Steven Weinberg ist bekennender Atheist:
»Für mich ist eine der großen Errungenschaften der Wissenschaft, dass sie es intelligenten Menschen zwar nicht unmöglich gemacht hat, religiös zu sein, aber sie macht es ihnen möglich, nicht religiös zu sein.
Ich denke, dass ein enormer Schaden von der Religion angerichtet wurde – nicht nur im Namen der Religion, sondern tatsächlich von der Religion. Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde.« Weinberg hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg.
Ich klopfe behutsam an die Tür. Und schließlich öffnet sie sich, und Adele, eine liebenswerte, kleine Frau steht vor mir. Als »Vorzimmerdrache« hält sie alle Unbill des banalen Alltagslebens von ihrem 1933 geborenen Herrn und Meister fern, dem nichts Furcht einflößt, außer das Altern. Adele herrscht in einem winzigen Vorzimmer mit einem riesigen Schreibtisch, auf dem sich Papierberge mit Korrespondenz und zahlreichen unerwünscht zugesandten Manuskripten türmen.
Der Nobelpreisträger wird darin von wohlmeinenden Außenseitern über die Weltformel belehrt, oder es wird ihm die frohe Botschaft übermittelt, dass die TOE – Theory of Everything – vom Absender endlich entdeckt worden sei. Nach einigen vorsorglichen, absolut angebrachten Empfehlungen, wie der Professor behandelt werden sollte, führt mich Weinbergs guter Geist Adele in die heiligen Hallen des Vordenkers der Elementarphysik.
Als sich die Tür zum Allerheiligsten öffnet, sehe ich ein bescheidenes Arbeitszimmer voller Regale und einen wuchtigen, vollgepackten Schreibtisch. Im Regal an der rechten Wand steht zwischen Stößen von Papieren, Facharbeiten und Manuskripten, völlig unscheinbar, der Sockel mit der Nobelpreis-Medaille. An den Wänden hängt eine lange Reihe von Auszeichnungen. Weinberg sitzt am Schreibtisch, vor der mit Formeln und Gleichungen bedeckten schwarzen Tafel, an der seitlich eine Reihe bunter, erschlaffender Luftballons müde an einem Wirrwarr von Schnüren herunterhängt.
»Die Elementarphysik wird immer esoterischer«, verkündet der Herr der Symmetrien mit sonorer Stimme und mustert mich mit seinem intensiv-wachen Blick. Weinberg hat Charisma und strahlt kreative Vitalität aus. Er hat graues, gewelltes Haar, aber Augen und Stimme lassen alles andere in den Hintergrund treten. Sein Interesse für die theoretische Physik entstand bei ihm schon als Fünfzehnjähriger. Seine Arbeit über die Vereinigung der elektromagnetischen Kraft mit der schwachen Wechselwirkung wurde 1979 mit dem Nobelpreis belohnt. Er wurde zu einem Pionier des Grenzgebiets zwischen der Elementarphysik und der Kosmologie. Mit seinem Buch »Die ersten drei Minuten« (nach dem Urknall) wurde er einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
»Ist in Ihrer abstrakten Welt der Elementarphysik überhaupt noch Platz für Leben, Bewusstsein und einen Schöpfer?«, frage ich provozierend.
»Nun, die Erfahrungen der Wissenschaft deuten auf eiskalte Unpersönlichkeit der Naturgesetze«, antwortet Weinberg nach kurzem Zögern. »Der erste große Schritt war die Entmystifizierung des Himmels. Der zweite die Entmystifizierung des Lebens. Sie hat die religiösen Empfindungen weit stärker getroffen als irgendeine andere Entdeckung der Naturwissenschaft. Vermutlich werden wir in den endgültigen Naturgesetzen zwar der Schönheit begegnen, doch Leben und Bewusstsein werden keinen
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