Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Raus aus dem Schneckenhaus

Raus aus dem Schneckenhaus

Titel: Raus aus dem Schneckenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Morschitzky , Thomas Hartl
Vom Netzwerk:
Wenn keine körperlichen Symptome vorhanden wären, hätte man auch keine Ängste. Doch ein solches Denken stellt eigentlich eine Art Selbstbetrug dar. Dadurch, dass die Aufmerksamkeit auf die Symptome verlagert wird, muss man sich nicht mit den zugrunde liegenden sozialen Ängsten auseinandersetzen. Typische Aussagen sind etwa: »Wenn ich nicht so leicht erröten, schwitzen oder zittern würde, hätte ich keine Angst vor anderen Menschen.« Wer dann glaubt, dass die körperlichen Symptome durch eigene Bemühungen oder eine Psychotherapie nicht beeinflusst werden können, sucht die Lösung in der Einnahme von Medikamenten (Beruhigungsmitteln, Betablockern, Antidepressiva, homöopathischen Mitteln) oder gar in operativen Eingriffen, wie dies nicht selten bei Menschen mit starkem Schwitzen der Fall ist.
    Zusammenfassend lässt sich feststellen: Sichtbare körperliche Symptome sind nicht die Ursache für normale oder krankhafte soziale Ängste, aufgrund ihrer Unkontrollierbarkeit können sie jedoch erheblich dazubeitragen, dass sich das Risiko einer spezifischen Sozialphobie erhöht. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Betroffenen plötzlich im Mittelpunkt stehen, z. B. weil sie eine Leitungsfunktion übernehmen, die sie vorher nicht innegehabt hatten.

Psychische Faktoren: die Macht der Gedanken und Gefühle
    Nicht die Dinge an sich sind es,
    die uns beunruhigen, sondern
    unsere Vorstellung von den Dingen.
    EPIKTET
    Normale und krankhafte soziale Ängste stehen in engem Zusammenhang mit ganz bestimmten Denkmustern, Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmalen, die im Folgenden näher beschrieben werden.
Ständiges Vorausdenken und Nachgrübeln: Erwartungsangst und »Nachbearbeitung«
    Es stimmt: Der erste Eindruck ist oft entscheidend. Nach den ersten eineinhalb Minuten einer Begegnung steht fest, ob wir jemanden interessant, vertrauenswürdig, sympathisch und liebenswert finden. So geht es auch den anderen mit uns. Das müssen wir besser aushalten lernen. Nur dann können wir die Chance nutzen, in der weiteren Begegnung den ersten Eindruck der anderen Menschen gegebenenfalls zu korrigieren. Ängstliche Personen können damit nicht umgehen und leben deshalb in ständiger Furcht vor sozialen Auftritten und Begegnungen.
    Aufgrund ihrer Erwartungsängste (der sogenannten »Angst vor der Angst«) gehen Menschen mit sozialen Ängsten bereits vor jedem Ereignis im Kopf alles sehr genau durch und malen sich in den grellsten Farben aus, was alles passieren könnte. Sie rechnen mit Blamage, Kritik, Misserfolg und Ablehnung und stellen sich den schlimmstmöglichen Ausgang einer Situation oder eines Ereignisses vor. Die Bilder sind genauso lebendig wie plastische Erinnerungen, und die visualisierten Befürchtungen werden im Gehirn tatsächlich wie lebhafte Erinnerungen abgespeichert – es sind also in gewisser Weise Albträume bei Tag. Die belastenden Imaginationen lösen starke Furcht sowie unangenehme körperliche Empfindungen aus. Vermeintliche oder tatsächliche Versagenserlebnisse in früherer Zeit geben den Erwartungsängsten immer wieder neue Nahrung. Die Katastrophenfilme im Kopf sind so lebhaft, dass sie auch durch konkrete positive Erfahrungen nicht relativiert werden können.
    Menschen mit sozialen Ängsten neigen dazu, andauernd über bevorstehende Sozialkontakte nachzudenken. Dieses ständige Grübeln ist aber nicht nur ein Ausdruck der Hilflosigkeit und Unsicherheit, sondern eine bewusst eingesetzte Methode, die Angst machenden bildhaften Vorstellungen mithilfe von weniger ängstigenden Gedanken zu entschärfen. Die gedankliche Beschäftigung mit Blamage und Versagen ist also eine kognitive Vermeidungsstrategie zur Angstreduktion.
    Die mentale Vorwegnahme von Angst machenden Situationen kennzeichnet jede Art von Phobie; die langwierige gedankliche Nachbearbeitung und nachträgliche Analyse ist jedoch das typische Merkmal einer Sozialphobie. Sozialphobische Personen neigen dazu, im Nachhinein über die erlebten sozialen Kontakte nachzugrübeln. Es geht um Fragen wie: »Was habe ich falsch gemacht?«, »Warum ist das nicht so gelaufen wie geplant?«, »Wie sehr haben die anderen meine Unruhe und Unsicherheit gemerkt?«, »Was denken die anderen jetzt über mich?«
    Sozialphobikern fällt es sehr schwer, nach sozialen Begegnungen abzuschalten und das Geschehene vergangen sein zu lassen. An sich ist es ein ganz normales menschliches Bedürfnis, ein Erlebnis zu verarbeiten. Sozialphobiker gehen jedoch jede

Weitere Kostenlose Bücher