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Raus aus dem Schneckenhaus

Raus aus dem Schneckenhaus

Titel: Raus aus dem Schneckenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Morschitzky , Thomas Hartl
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auch der Schulter-Nacken-Bereich.
    Die Angst vor dem sichtbaren Zittern der Hände kann dazu führen, dass die Betroffenen in Anwesenheit anderer Menschen aus Angst, unangenehm aufzufallen, nichts essen, trinken oder unterschreiben. Wenn siebeobachtet werden, haben Sozialphobiker Angst, auf einem Formular nur unleserlich unterschreiben zu können, im Restaurant die Suppe vom Löffel zu kippen, beim Anstoßen mit dem Weinglas ungeschickt zu sein, im Café den Zucker oder den Kaffee zu verschütten, im Selbstbedienungsrestaurant das Cola-Glas unruhig zu tragen, im Geschäft das Wechselgeld nicht in Ruhe entgegennehmen zu können und Ähnliches. Ohne das Gefühl, beobachtet zu werden, können die Betroffenen alle Tätigkeiten problemlos ausführen. Sozialphobisch bedingtes Händezittern wird viel peinlicher erlebt als organisch bedingtes: Parkinson-Kranke zittern sehr stark, bemerken es jedoch oft gar nicht und haben trotz ihrer Beeinträchtigung gewöhnlich keine Angst, etwas in der Öffentlichkeit zu tun.
    Die Angst vor Schwitzen beruht auf der unangenehmen Erfahrung einer schweißtriefenden Stirn, glitschiger Handflächen und von Achselschweiß mit sichtbaren Schweißflecken auf dem Hemd. Sie belastet viele Menschen, die öffentlich auftreten. Die Betroffenen fürchten sich davor, nach einer Besprechung dem anderen eine feuchte Hand geben zu müssen und spätestens dann als »nervlich angeschlagen« zu gelten. Schweißbildung wird aber auch wegen der unangenehmen Geruchsbelästigung gefürchtet.
    Bei der Angst vor Erbrechen, Harn- und Stuhldrang handelt es sich um die Befürchtung, die Kontrolle über die Organe zur Nahrungsaufnahme und Nahrungsausscheidung zu verlieren. Sie steht nur bei einem kleinen Teil der sozialphobischen Patienten im Mittelpunkt des Erlebens. Die Furcht vor diesen zunächst ja noch unsichtbaren Symptomen (ein Würgen im Hals oder ein Druck auf der Blase kann von anderen ja nicht wahrgenommen werden) wird wegen der möglichen peinlichen Folgen als noch bedrohlicher erlebt als die vergleichsweise harmlosen Symptome Erröten, Schwitzen und Zittern. Die Angst vor Übelkeit bis hin zum Brechreiz kann sich verstärken, wenn bereits mehrfach die Erfahrung gemacht wurde, dass man bei Einladungen keinen Bissen zu sich nehmen konnte und nach plausiblen Begründungen dafür suchen musste, warum man nichts essen kann. Appetitlosigkeit oder Magenverstimmung sind hier beliebte Ausreden.
    Menschen mit einem Reizblasenproblem (mehrheitlich sind Frauen betroffen) haben Angst, in sozialen Situationen unangenehm aufzufallen, weil sie befürchten, aufgrund eines nervös bedingten Harndrangs unnötig oft auf die Toilette laufen zu müssen. Ausgeprägte Beobachtungsängste können aber auch blockierend auf die Ausscheidungsorgane wirken. Viele Männer können auf der Toilette nicht urinieren, wenn amPissoir daneben ein anderer Mann steht (Fachausdruck Paruresis , auf Deutsch oft »schüchterne Blase« genannt). Sie trinken daher bei einer auswärtigen Feier nur wenig, um nicht mit voller Harnblase dasitzen zu müssen. Auch manche Frauen können in keine Toilettenkabine eintreten, wenn sie sich auf dem »stillen Örtchen« beobachtet fühlen und peinliche Geräusche und Gerüche nach außen dringen könnten. Stressbedingter Harndrang und psychogenes Harnverhalten begünstigen aufgrund der Furcht vor peinlicher Auffälligkeit die sozialen Ängste und vermindern die Freude am Zusammensein mit anderen Menschen.
    Die Angst vor Ohnmacht als Folge eines Kreislaufkollapses löst bei sozialphobischen Patienten – anders als bei Menschen mit einer Panikstörung – zwar keine herzbezogene Todesangst aus, aber immerhin die unerträgliche Befürchtung, in aller Öffentlichkeit peinlich umzufallen und dann dem Gerede der Leute ausgesetzt zu sein (»Umfallen ist Auffallen«).
    Welche Beziehung besteht nun zwischen diesen peinlichen körperlichen Symptomen und einer sozialen Phobie? Führen soziale Ängste zu diesen unkontrollierbaren Symptomen, wie Fachleute meinen, oder bewirken diese sichtbaren Symptome erst die soziale Phobie, wie viele Betroffene glauben? Was war also früher da, die soziale Phobie oder die an sich harmlosen Symptome?
    Der Zusammenhang zwischen den sozialen Ängsten und den unangenehmen Körpersymptomen steht für viele Betroffene fest: Nicht die Ängste führen zu Symptomen, sondern die unerklärlichen Symptome verursachen die Ängste. Die körperlichen Angstsymptome werden als das primäre Problem erlebt:

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