Raus aus dem Schneckenhaus
kein Selbstwert ohne elterliche Anerkennung
Der elterliche Erziehungsstil kann die spätere Ausprägung sozialer Ängste fördern. Menschen mit einer sozialen Angststörung beschreiben ihre Eltern oft als kontrollierend, überbehütend, ablehnend und kritisch. Stark kontrollierende Väter und anhaltendes negatives Feedback beider Elternteile bewirken eine soziale Unsicherheit des Kindes und eine Anfälligkeit für jede Art von Kritik. Beschämung als Erziehungsmethode vermittelt das Gefühl, nicht okay zu sein, und begünstigt ein geringes Selbstbewusstsein. Ständiges Nörgeln der Eltern kann die Sensibilität für außerfamiliäre Kritik, etwa in der Schule oder unter Gleichaltrigen, stark erhöhen und eine ständige Selbstbeobachtung zur Folge haben.
In Psychotherapien berichten sozialphobische Erwachsene oft, wie sie bereits in Kindheit und Jugend einem überkritischen Vater nie gut genug sein konnten. Bei Menschen mit überhöhten Leistungsanforderungen lautete die elterliche Botschaft oft: »Du bist nur etwas wert, wenn du etwas leistest.« Mütterliche Überbehütung wirkt sich ebenfalls negativ aus. Soziale Lernmöglichkeiten durch Versuch-Irrtum-Lernen im Kreis der Gleichaltrigen werden durch eine – gut gemeinte – einschränkende Erziehung ausgeschlossen. Ängstlich-überbehütende Eltern verhindern die Entwicklung zu mehr Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von anderen Menschen. Durch ein Bewahren vor den »bösen anderen Kindern« werden Jungen und Mädchen daran gehindert, mit sozialen Widerwärtigkeiten mutig umgehen zu lernen.
Von Natur aus sozial zurückgezogene Kinder können von den Eltern gefördert werden, z. B. durch Einladung von Mitschülerinnen und Unterstützung bei Konflikten mit Klassenkameraden. Sie können aber auch gehemmt werden, wenn etwa die Eltern ihr kindliches Wesen als unveränderlich ansehen, gleichsam nach dem Motto: »Unser Sohn ist halt so gehemmt wie sein Vater, der in seiner Jugendzeit auch ein Einzelgänger war.« Eltern, die selbst sozial gehemmt sind, können ihr ängstliches Kind in seiner sozialen Entwicklung kaum fördern, weil ihnen jede soziale Begegnung ebenfalls Stress bereitet.
Trotz der vielen möglichen Erziehungsfehler, die jeder Elternteil begehen kann, bleibt festzuhalten: Sofern Kinder von klein auf das Gefühl von emotionaler Geborgenheit und die Erfahrung von Wertschätzung als Person erlebt haben, ist die Gefahr gering, dass sich aus Erziehungsfehlern eine soziale Angststörung entwickelt. Anders formuliert: Die Verwundbarkeit gegenüber sozialer Kritik ist vermindert, wenn elterliche Kritik sich nur auf bestimmte Verhaltensweisen des Kindes und nicht gleich auf die ganze Person des Kindes richtet.
Ungünstige Vorbilder: keine soziale Kompetenz ohne positive Modelle
Eltern übertragen ihre Ängste auf die Kinder. Soziale Ängste können durch Modelllernen erworben werden: Die elterlichen Modelle werden für das eigene Leben übernommen. Viele Menschen mit sozialen Ängsten und Phobien haben Eltern, die ebenfalls unter einer sozialen Angststörung gelitten haben. Die Eltern von sozial ängstlichen Menschen leben oft sehr zurückgezogen oder gar isoliert und haben kaum Freundeund Bekannte, mit denen die Kinder Kontakt schließen könnten. Solche Kinder bekommen eine folgenschwere Botschaft mit auf den Lebensweg: »Die Welt draußen ist gefährlich. Man kann niemandem trauen. Nichts über sich mitzuteilen ist die beste Strategie, sich unangreifbar zu machen.«
Die spätere Ausformung sozialer Ängste wird auch gefördert durch die Übernahme starrer oder überfordernder Familienregeln, wie etwa: »Das gehört sich nicht«, »Das muss so und darf nicht anders gemacht werden«, »Nur wer etwas leistet, ist etwas wert«, »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«, »Nur nicht unangenehm auffallen«, »Fehler machen heißt, dass man sich nicht genug angestrengt hat.«
Die erlebte Sanktionierung jeder kleinen Abweichung von den Regeln fördert eine übergroße Orientierung an »richtig« oder »falsch«, »gut« oder »schlecht«, um ja nicht kritisiert oder gar abgelehnt zu werden. Je mehr die Eltern ein extrem normenorientiertes Verhalten an den Tag legen und sich möglichst konform der sozialen Umwelt gegenüber verhalten, desto stärker ist der bewusste und unbewusste Druck auf die Kinder, in ähnlicher Weise zu handeln, um soziale Anerkennung zu finden.
Soziale »Traumatisierungen«: keine Kontaktbereitschaft ohne Bewältigung negativer
Weitere Kostenlose Bücher