Raus aus dem Schneckenhaus
maximaler Unauffälligkeit und sozialer Konfliktfreiheit verhindert jede persönliche Profilierung.
»Westliche« Kulturen (Nordamerika, Europa, Australien) schätzen aufgrund der individualistischen Vorstellungen, die dort vorherrschen, Werte wie Freiheit, Erfolg, Unabhängigkeit und Individualität. »Östliche« Kulturen (Asien, Afrika, Südamerika) betonen dagegen aufgrund der kollektivistischen Normen, die die dortigen Gesellschaften prägen, Ideale wie Kooperation, Zusammenhalt, Harmonie und Verantwortung gegenüber der Gruppe. Entsprechend werden Schüchternheit und soziale Ängste je nach Kultur unterschiedlich bewertet, und zwar in Asien viel positiver als in der westlichen Kultur. In Ländern wie Japan oder Chinahaben schüchterne Kinder und Erwachsene einen viel besseren Status als in Europa und Amerika; sie werden dort häufiger zu Interaktionspartnern gewählt als in unseren Breiten. In bestimmten Ländern, wie etwa in Israel, ist die Schüchternheitsrate aufgrund der Erziehung geringer als anderswo, in Japan wiederum deutlich größer als in den USA. Damit ist erwiesen: Schüchternheit ist zwar ein Temperamentsfaktor, aber doch eine kulturell formbare Eigenschaft. Selbst in der westlichen Welt hat Schüchternheit einen unterschiedlichen Stellenwert: In Finnland wird schüchternes Verhalten viel positiver bewertet als in den USA.
In der individualistischen Kultur der USA , die den Erfolg des Einzelnen (über-)betont, gilt Schüchternheit als soziales Defizit. Kinder werden daher dazu erzogen, im Vertrauen auf ihre Fähigkeiten möglichst selbstbewusst und unabhängig zu handeln. In kollektivistischen Kulturen in China und Japan , die den Einzelnen stärker in das Kollektiv einbetten, gilt Schüchternheit dagegen als Ausdruck der sozialen Reife, während die Lockerheit der Amerikaner geradezu als Distanzlosigkeit angesehen wird. Kinder werden daher zu sozialer Zurückhaltung erzogen. Mittlerweile gibt es jedoch deutliche Anzeichen für einen Wertewandel in fernöstlichen Kulturen; diese nähern sich immer mehr westlichen Standards an, womit auch dort der Druck auf den Einzelnen zunimmt, sich zu behaupten. Im zunehmenden Wettbewerb gilt selbst in China Schüchternheit immer mehr als Nachteil.
Im Gegensatz zur sozialen Angst der Europäer und Amerikaner, sich lächerlich zu machen, geht es bei der sozialen Angst der Japaner, Taijin Kyofusho genannt, um die Sorge und Furcht, andere zu belästigen (durch Blicke, Erröten, unangenehme Körpergerüche, abgehende Winde, unabsichtliche Berührung oder körperliche Entstellung). Alles dreht sich darum, andere Menschen nicht durch übermäßige Nähe oder abstoßende körperliche Auffälligkeit in Verlegenheit zu bringen. Die räumliche Beengtheit in Japan mag mit ein Grund dafür sein, dass jeder darauf achtet, den anderen nicht zu sehr zu bedrängen.
Trotz ähnlicher Häufigkeitsraten in der westlichen Welt zeigen sich soziale Phobien je nach Region in unterschiedlicher Weise: So wird z. B. Essen, Trinken und Schreiben in der Öffentlichkeit oder Sprechen vor Autoritätspersonen in Schweden mehr gefürchtet als in den USA. Scham wiederum spielt bei der Entwicklung von sozialen Ängsten in China eine größere Rolle als in den USA. Die regional und kulturell unterschiedliche Ausformung sozialer Ängste weist somit eindrucksvoll auf die Bedeutung der jeweiligen Werte und Normen bei der Gestaltung sozialer Beziehungen hin.
Teil 3
Ein Zehn-Schritte-Programm zur Bewältigung sozialer Ängste
G ott, gib’ mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern,
die ich ändern kann, und die Weisheit,
das eine vom anderen zu unterscheiden.
ALTES GELASSENHEITSGEBET
Der dritte Teil des Buches vermittelt Ihnen Strategien zur Bewältigung sozialer Ängste, und zwar in zehn Schritten:
Schritt 1 – Problem- und Zielanalyse: Analysieren Sie Ihre sozialen Ängste und klären Sie Ihre Ziele.
Schritt 2 – Aufmerksamkeitslenkung: Konzentrieren Sie sich auf die Umwelt und die Gegenwart, statt auf sich selbst und die Zukunft.
Schritt 3 – Akzeptanztraining: Nehmen Sie Ihre sozialen Ängste an und verfolgen Sie konsequent Ihre Ziele.
Schritt 4 – Änderung der Denkmuster: Entwickeln Sie neue Sichtweisen.
Schritt 5 – Mentales Training: Lernen Sie, soziale Situationen in der Vorstellung zu bewältigen.
Schritt 6 – Abbau von Sicherheitsverhalten: Verlassen Sie sich auf sich selbst, statt auf Tricks.
Schritt 7 –
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