Raus mit der Sprache
zeichnen die Kurzvorträge der Reihe nach auf – jede/r kommt dran! –, spulen zurück und schauen sich Beitrag für |73| Beitrag – aus Zeitgründen gegebenenfalls nur ausschnittweise – an und besprechen ihn nach folgendem Schema:
Wie sieht der/die Vortragende sich selbst?
(Selbstwahrnehmung)
Was sehen die übrigen Teilnehmer?
(Fremdwahrnehmung)
In einem 3. Schritt wird ein Merkmal überlegt, auf das der/die Betreffende beim nächsten Mal besonders achten will (z.B. Körperhaltung, Stimmqualität, Modulation, Blickkontakt, Gestik, Redeaufbau).
Es ist eine wertvolle Erfahrung, sich einmal redend gesehen zu haben. Viele sind erstaunt, wie wenig von ihren inneren Turbulenzen, den körperlichen Stresssymptomen, nach außen sichtbar wird. Manchen fällt es schwer, sich auf dem Bildschirm zu sehen; sie gefallen sich überhaupt nicht, sind sich fremd. Doch mit jeder Übung tritt das mehr in den Hintergrund.
Bei der gemeinsamen Besprechung nach der Videoaufzeichnung stößt man auf ein interessantes Phänomen: Redeängstliche schätzen ihr Verhalten oft falsch ein. Sie meinen zum Beispiel, sie hätten zu leise und verworren gesprochen. Dabei konnten die Zuhörer sie gut verstehen. Oder sie finden selbst, dass sie ganz unsicher wirken, während die anderen Teilnehmer ihnen bescheinigen, dass sie einen ziemlich sicheren und selbstbewussten Eindruck machen.
Die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung ist augenfällig. Es scheint da zwei Maßstäbe zu geben: einen strengen, kritischen Maßstab für sich selbst und einen sehr viel wohlwollenderen für die andern. Das kann so weit gehen, dass man bei einem anderen etwas als liebenswert empfindet, das man sich selbst nachzusehen niemals bereit ist.
Außerdem fällt fast schmerzhaft auf, dass die Teilnehmer fast durch die Bank mit negativer Kritik über sich selbst herfallen. Da haben sie sich nun der Kamera gestellt, was die ersten Male schon für sich genommen schwierig genug ist, und anstatt das anzuerkennen und das Augenmerk auf das zu richten, was sie gut gemacht haben – und es gibt immer Anteile, die |74| man gut gemacht hat –, hacken sie nur auf dem herum, was noch nicht so ist, wie sie es gern hätten.
Ich habe bei der Beschreibung nicht übertrieben und diesen Punkt so eindringlich behandelt, weil ich mit ziemlicher Sicherheit voraussagen kann, dass Sie auch nicht fairer mit sich umgehen. Und nun sagen Sie selbst: Ist das eine gute Voraussetzung, um sich zu motivieren und bei der Stange zu halten, gerade wenn es noch schwer fällt?
Sie wiederholen hier, was Sie als Kind vermutlich oft erfahren haben: Sie haben sich angestrengt und etwas produziert, und statt Anerkennung dafür zu bekommen, sind Sie ausgemeckert worden.
Und heute behandeln Sie sich selbst auch nicht besser.
Schreiben Sie jetzt auf, wie Sie in Zukunft die Selbstabwertung stoppen wollen:
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Die Erfahrung mit Selbst- und Fremdwahrnehmung ist oft ein Anstoß, den strengen Maßstab, den man an sich selbst anlegt, zu überprüfen und zu lockern. Das Ziel ist, dass Sie von dem Bild, wie Sie idealerweise vor einer Gruppe sprechen möchten, ablassen und zu dem stehen, was Sie gegenwärtig tatsächlich fertig bringen (mit Aufregung, mit zittriger Stimme und Rotwerden). Dann werden Sie merken, dass Ihr reales Selbst schon eine ganze Menge zustande bringt und sich nicht verstecken muss.
|75| Wenn Sie sich selbst so akzeptieren, wie Sie sind, kann mit den oben beschriebenen kleinen Schritten ein Prozess, eine Entwicklung in Gang kommen, die langfristig zu Veränderung führt. Es nützt nichts, auf den großen Wurf zu warten, mit dem Sie sich nur überfordern würden – im Übrigen ist das eine vorgeschobene Begründung, um sich der Mühe und Arbeit, die auch in den kleinen Schritten steckt, zu entziehen.
Zwei Große in Literatur und Politik haben es so formuliert:
Goethe:
»Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun.«
Marshall,
der amerikanische Außenminister und Erfinder des gleichnamigen Plans, erkannte: »Kleine Taten, die man ausführt, sind besser als große, die man nur plant.« Das lässt sich exakt auf das Reden anwenden.
Falls noch erforderlich, möchte ich Sie ausdrücklich ermuntern, dem Prinzip der kleinen Schritte anzuhängen und sich zum Redner, zur Rednerin zu entwickeln, indem Sie einen Fuß vor
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