Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
Atem abschnürte, aber gegen die dämonischen Kräfte der Totenhand hatte er keine Chance.
Mit einem letzten Zucken rollte er seitwärts vom Bett und schlug mit einem dumpfen Dröhnen daneben auf dem Teppich auf. Dann lag er still. Sein Gesicht war blau angelaufen und grässlich verzerrt.
Immer noch löste sich die Totenhand nicht von seiner Kehle. Erfüllt von einer unirdischen, bösartigen Intelligenz wartete sie, bis auch das letzte Fünkchen Leben in Spider erstorben war. Dann erst lockerte sich ihr Griff.
Anne hatte die ganze Szene von Grauen geschüttelt verfolgt. Jetzt sprang sie auf und versuchte, einen so großen Abstand wie möglich zwischen sich und die Totenhand zu legen. Als sie rückwärts gehend von der Liege zurückwich, stieß sie gegen die kalte, glatte Scheibe des halboffenen Fensters.
Von draußen drangen merkwürdige Geräusche herein. Zuerst glaubte sie, dass es sich dabei nur um eine Sinnestäuschung handelte, um das Rauschen des Blutes in ihren Ohren vielleicht, aber dann wurden die Geräusche lauter und lauter. Sie klangen wie das sich immer mehr nähernde Schlurfen von unzähligen Füßen. Und obwohl sie panische Angst hatte, der Totenhand den Rücken zuzukehren, wandte sich Anne um und starrte hinaus in die nebelige Nacht.
Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gerinnen.
Aus den wallenden Nebeln tappten Gestalten heran, wie es sie sonst nur in Albträumen gab - tote, mumifizierte Körper, die in einer endlosen Prozession die Auffahrt nach Hillcrest Manor heraufstolperten. Es mussten Hunderte sein. Sie kamen allein, zu zweit, zu dritt, in kleinen Gruppen, in ganzen Trupps. Manche stützten sich gegenseitig, weil ihnen die Füße und Beine fehlten. Manche trugen ihren Kopf - jetzt nur noch ein grässlicher, grinsender Schädel mit strähnigem Leichenhaar - unter dem Arm. Vorneweg gingen zwei Gestalten, die zwischen sich einen lebenden Menschen führten.
Janice Land.
Dieser letzte Schrecken war zu viel für Anne Devlin. Mit einem gellenden Aufschrei stürzte sie zur Tür des Boudoirs und riss sie auf. Es machte ihr nicht einmal etwas aus, dass sie dabei über den Leichnam Spiders springen musste - und über die Totenhand, die sich immer noch locker um seine Kehle schloss und das Würgemal verdeckte, das ihr Griff hinterlassen hatte.
Erst als Anne Devlin zur Tür hinaus war, löste sich die Totenhand endgültig von ihrem Opfer und kroch hinter der schreienden Frau her, die Treppe ins Erdgeschoss hinab. Sie glitt geschmeidig über die Bodenbretter der Halle und hielt erst vor der Wohnzimmertür an, die Anne mit verzweifelter Wucht hinter sich zugeschlagen hatte. Dort wartete die Hand - auf den Körper, zu dem sie einmal gehört hatte.
Den Körper Marian Prynns.
Anne Devlins gellender Schrei war überall in Hillcrest Manor zu hören.
Ravens Kopf fuhr mit einem Ruck hoch, und seine Zähne mahlten aufeinander. Er glaubte zu wissen, was da oben jetzt vor sich ging, und Mitleid und hilflose Wut rangen in ihm um die Vorherrschaft. Sein Blick suchte den Seymour Devlins, der immer noch im Sessel kauerte, den MPi-Lauf jetzt an der Schläfe. Der Schriftsteller bemerkte Ravens Blick gar nicht. Apathisch starrte er vor sich hin, kaum noch zur Hälfte der Mann, der er einmal gewesen war. Die Demütigungen, die er in der letzten Stunde hatte hinnehmen müssen, hatten ihn zerbrochen, und Raven fragte sich, ob er jemals wieder ein Buch würde schreiben können. Wahrscheinlich nicht. Und wenn, dann keines mehr mit düsterem, fantastischem Hintergrund. Die Gewalt, der sie hier ausgesetzt waren, übertrug in ihrem Grauen alles, was sich ein Schriftsteller auszudenken vermochte.
Der Privatdetektiv ließ seinen Blick weiter zu Jazz wandern. Beim Aufklingen von Anne Devlins Schrei hatte sich ein Ausdruck von Zufriedenheit in das Gesicht des Killers gestohlen. Dieser Bestie machte es Spaß, zu wissen, dass dort oben ein anderer Mensch entwürdigt und gequält wurde!
Raven hätte seinen rechten Arm dafür gegeben, von seinen Fesseln frei zu sein und Jazz' Maschinenpistole in Händen zu halten. Voller Hass stellte er sich vor, wie er den Stecher durchzog und den Killer niederschoss. Heiße Scham stieg in ihm auf, als er mit einem Mal begriff, dass jener Hass, der ihn zu solchen Fantasien trieb, genau der Hass war, der auch Jazz zu seinen diabolischen Handlungen veranlasste.
Er wurde durch die nächsten Schreie Anne Devlins aus seinen Gedanken gerissen. Aber diesmal drangen sie nicht aus dem ersten
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