Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
haben?«
Target begann demonstrativ, seine inzwischen kalt gewordenen Bratwürstchen zu verzehren. »Und wer sollte das sein?«, erkundigte er sich beinahe angeekelt zwischen zwei Bissen. Es war eine rein akademische Frage. Für ihn war Raven ein für alle Mal gestorben.
»Seymour und Anne Devlin«, sagte Raven.
Jeff Targets Gabel blieb auf halbem Wege zwischen Teller und Mund reglos in der Luft schweben. Der Amerikaner hob den Blick und starrte Raven an wie ein Wundertier.
»Hören Sie mir nur eine Viertelstunde zu«, fuhr Raven fort. »Und rufen Sie anschließend bei den Devlins an - ihre Nummer haben Sie ja. Wenn sie meine Geschichte bestätigen, wären Sie dann bereit, auch das noch einmal zu überdenken, was ich Ihnen über heute Nacht berichtet habe?«
Einen endlos lang erscheinenden Augenblick sagte Jeff Target nichts. Dann ließ er die Gabel auf den Teller sinken.
»Fangen Sie an«, presste er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Und gnade Ihnen Gott, wenn die Devlins Ihre Geschichte für Unsinn erklären. Dann mache ich Sie so fertig, dass Sie nur noch auf allen vieren aus diesem Raum kriechen können, und wenn ich dafür eine Anzeige wegen Körperverletzung oder gar wegen versuchten Totschlags an den Hals bekomme.«
Und Raven begann. Er berichtete haarklein von dem albtraumhaften Abenteuer, das die Devlins, Janice Land und er selbst am Turm der lebenden Toten hatten bestehen müssen. Er sprach von der Armee der Untoten, die aus dem Turm hervorgebrochen war, erwähnte Ahasver, den ewigen Wanderer, und verschwieg auch nicht die Rolle des Hexenjägers Nehemiah Oldham und den Fluch, der deshalb über ihm, Raven, lag. Er ließ nichts aus und fügte nichts hinzu. Je länger er redete, desto größer wurden Jeff Targets Augen.
Als er geendet hatte, hing einige Augenblicke lang das Schweigen beinahe greifbar zwischen ihnen in der Luft. Dann stieß der Amerikaner seinen Stuhl mit einer ruckartigen Bewegung nach hinten vom Tisch weg und stand abrupt auf. Seine Augen waren dabei unverwandt auf Raven gerichtet.
»Ich gehe jetzt«, sagte er gefährlich leise, »und rufe die Devlins an!«
Raven sah ihm nach, als er sich umwandte und aus dem Raum stürzte. Dann machte er sich trotz mangelnden Appetits über die Reste des Frühstücks her. Wenn er schon übermüdet war, dann wollte er den Tag doch wenigstens nicht hungrig beginnen.
Er war längst fertig, als Jeff Target endlich mit gesenktem Kopf zurück ins Frühstückszimmer kam. Seine Bewegungen waren viel langsamer und weniger energiegeladen als noch vor wenigen Minuten, und sein Gesicht war maskenhaft starr. Seine Wut hatte sich vollständig verloren.
»Sie haben jedes Ihrer Worte bestätigt«, sagte er müde, als er sich in den Stuhl Raven gegenüber fallen ließ. »Ich habe mit beiden gesprochen.«
Er hob den Kopf und schaute Raven lange an. Mit einem Mal zerbrach plötzlich die Maske, und nackte Verzweiflung sprach aus den Zügen des Amerikaners. So hatte Raven ihn noch nie erlebt, und in diesem Augenblick war ihm Jeff Target beinahe ein wenig sympathisch. Aber nur beinahe.
»Dann ... dann ist es vielleicht doch wahr«, sagte Target stockend und mit tonloser Stimme. »Das mit dem Monstrum, meine ich.« Er machte eine winzige Pause und stieß dann auf einmal von Grauen geschüttelt hervor: »Aber was - was können wir denn dann bloß machen?« Selbst in einem solchen Moment war er ganz der pragmatische Amerikaner, der sich nicht lange mit Erklärungen aufhielt, sondern gleich zur Frage des möglichen Handelns überging.
Raven beugte sich über den Tisch zu ihm vor und legte ihm in einer beruhigenden Geste die Hand auf den Unterarm. Target ließ die Berührung über sich ergehen, ohne zurückzuzucken.
»Ich glaube nicht«, erklärte ihm Raven, »dass wir diesem Barry Lamb - oder wie auch immer er in Wirklichkeit heißen mag - in seiner Dämonengestalt etwas anhaben können. Aber es besteht immerhin eine gewisse Chance, dass er in seiner menschlichen Gestalt angreifbar ist.« Er löste seine Hand von Targets Arm und erhob sich. »Und darum werde ich jetzt zu Konstabler Mortenson gehen, ihn dazu bringen, mir die Liste der Leute zu geben, die Barry Lamb für die Mordnacht ein Alibi verschafft haben, und anschließend versuchen, dieses Alibi zu erschüttern. Wir können ja schlecht mit dem, was wir bisher haben, zu den Behörden laufen, aber wenn wir einen handfesten Mordverdacht konstruieren können, sollten wir in der Lage sein, von offizieller
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