Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
Ort, und hier sprechen sich Neuigkeiten - besonders schlechte Neuigkeiten - sehr schnell herum. Aber ich habe die Geschichte der Polizei schon so oft erzählt, dass es auf ein weiteres Mal auch nicht mehr ankommt.«
Er lächelte, aber es war ein Lächeln, das Jeff nicht gefiel. Er sah jetzt, dass Barry Lamb verletzt war - zwischen seinen Augen befand sich eine centgroße verschorfte Stelle, und seine rechte Hand steckte in einem schmuddeligen, mit mehr gutem Willen als Sachkenntnis angelegten Verband.
»Ich schlage vor, wir unterhalten uns woanders«, fuhr Lamb fort. »Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, mich in Ihrem Wagen mitzunehmen - ich kenne ein gemütliches kleines Lokal ganz in der Nähe, das schon auf hat.«
»Um diese Zeit?«
Barry Lamb nickte. »Ja. Es gehört einem Freund von mir, wissen Sie.«
Jeff zögerte. Hinter seiner Stirn begann eine ganze Batterie von Alarmsirenen zu schrillen. Dieser Mann war kein Mann, sondern ein Monster, ein schreckliches Ungeheuer, das nur in die Maske eines scheinbar normalen Menschen geschlüpft war. Und höchstwahrscheinlich der Mörder seiner Schwester. Trotzdem nickte Jeff, drehte sich um und ging langsam zu Ravens Maserati zurück. Barry Lamb folgte ihm.
Sie verließen Karghill in südlicher Richtung, und Lamb dirigierte ihn mit knappen Worten durch ein wahres Labyrinth von schmalen Seitenwegen und Sträßchen. Jeffs Besorgnis wuchs, und er war froh, die Hände um das Lenkrad des Maserati krampfen zu können, damit man ihr Zittern nicht sah. Ihm fiel auf, dass Barry Lamb einen unangenehmen, scharfen Körpergeruch ausströmte, aber er sagte nichts und tat so, als konzentriere er sich voll auf den Weg.
Hinter seiner Stirn jedoch tobte ein Chaos. Er war sechstausend Meilen weit gereist, um den Tod seiner Schwester aufzuklären, und jetzt, noch bevor er richtig angefangen hatte, Nachforschungen anzustellen, sah er sich in einen Strudel unglaublicher Ereignisse hineingerissen, ja, er saß sogar neben ihrem mutmaßlichen Mörder, der außerdem kein Mensch war, sondern ein unirdisches Monstrum, und unterhielt sich mit ihm wie mit einem x-beliebigen Fremden, den er zufällig auf der Straße getroffen hatte. Das alles durfte ganz einfach nicht wahr sein!
Barry Lamb deutete schweigend auf einen holprigen, ausgefahrenen Weg, der von der Hauptstraße abzweigte. Jeff schaltete herunter, lenkte den Wagen in den Wald hinein und fuhr, vorsichtig mit Kupplung und Gaspedal jonglierend, weiter. Nach einer Weile erweiterte sich der Weg zu einer Art Lichtung, auf der ein niedriges, schon reichlich heruntergekommenes Landhaus stand.
»Das ist es?«, fragte Jeff ungläubig.
Barry Lamb lächelte dünn. »Wir sind da«, sagte er, ohne direkt zu antworten, und öffnete die Beifahrertür. »Kommen Sie.«
Jeff wartete einen Augenblick lang, bis Lamb endgültig ausgestiegen war und die Wagentür wieder hinter sich zugeschlagen hatte, dann griff er blitzschnell mit der rechten Hand unter das Armaturenbrett, nach der Pistole, von der Raven gesprochen hatte. Richtig, da war sie ja!
Mit einem kurzen Ruck löste er sie aus ihrer Halterung und ließ sie in seiner Jackentasche verschwinden. Jetzt fühlte er sich schon erheblich wohler. Verkapptes Monster oder nicht - kugelfest würde dieser Barry Lamb wohl kaum sein!
Lamb war inzwischen auf halbem Weg zwischen Wagen und Haus stehen geblieben und hatte sich ungeduldig nach dem Amerikaner umgedreht. Jeff beeilte sich, die Beine aus dem Wagen zu schwingen und zu dem unheimlichen Fremden aufzuschließen. Mit einem zufriedenen Lächeln setzte sich Barry Lamb daraufhin wieder in Bewegung. Er deutete voraus, auf die halb offen stehende Tür des Landhauses. Jeff folgte ihm wortlos.
Innen war es dunkel und kühl, fast kalt. Ein seltsamer, muffiger Geruch hing in der Luft, und als Lamb die Tür hinter sich zuschlug, löste sich eine Wolke von Kalk und Jahrzehnte altem Staub von der Decke und rieselte auf mit Laken abgedeckte, wahrscheinlich längst vom Holzwurm zerfressene Möbel. Was immer dieses Haus sein mochte, ein Gasthaus war es sicher nicht.
Jeff blieb stehen, drehte sich um und sah Barry Lamb scharf an.
»Okay«, murmelte er. »Sie haben Ihren Spaß gehabt, Lamb. Und jetzt erzählen Sie mir, warum Sie mich wirklich hierher gelockt haben. Wollen Sie mich vielleicht auch umbringen - wie meine Schwester?«
Barry Lamb lächelte. »Keineswegs, Mr. Target. Ich möchte lediglich mit Ihnen reden. In aller Ruhe reden. Und dieser Ort schien mir
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