Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
ersten Mal in seinem Leben spürte er, was Angst, wirkliche, animalische Angst bedeutete.
Er erreichte die Tür, trat rasch ins Haus und drehte den Schlüssel zwei Mal hinter sich um, ehe er - das Gewehr noch immer in der Armbeuge haltend - ins Wohnzimmer stürmte und mit bebendem Finger eine Nummer ins Telefon tippte.
»Was ist los, Charles?«, fragte seine Frau. Sie war bei seinem Eintreten aufgesprungen, hatte das Gewehr in seiner Hand gesehen und war dann erschrocken stehen geblieben.
»Rex ist tot«, sagte der Mann, während er ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat und darauf wartete, dass am anderen Ende der Verbindung abgenommen wurde. »Jemand ... etwas hat Rex umgebracht.«
»Rex?«, echote seine Frau ungläubig. »Tot?«
»Ja, tot!«, brüllte Charles. Seine Nervenkraft schien nun endgültig erschöpft zu sein. »Ich weiß nicht, wer oder was es war, aber ...«
Ein ungeheurer, berstender Schlag ließ das Haus erbeben. Eine Fensterscheibe ging klirrend zu Bruch, das Licht flackerte für einen Moment, dann erfolgte ein zweiter Schlag, dicht gefolgt vom Splittern und Bersten der Haustür.
Der Mann fuhr herum, ließ den Telefonhörer fallen und riss in einer reflexhaften Bewegung das Gewehr hoch. Seine Augen richteten sich in ungläubigem Schrecken auf die Verbindungstür zur Diele.
Auf dem Flur wurden plumpe, tapsige Schritte laut, ein Geräusch, als scharrten hornige Klauen über Holz. Dann erschien ein grotesk verzerrter Schatten in der Tür.
Der Mann schrie gellend auf, stellte sich instinktiv schützend vor seine Frau und drückte ab. Der Schuss dröhnte überlaut durch das Zimmer.
Die Schrotladung fuhr prasselnd in den Türrahmen, klatschte in das zuckende, sich windende Etwas, das das Wesen anstelle eines Gesichts trug, und ließ es mit einem krächzenden Aufschrei zurückprallen. Grünes, schleimiges Blut tropfte auf den Boden.
Das Ungeheuer wankte, prallte schwer gegen die gegenüberliegende Flurwand und setzte mit einem krächzenden Schrei erneut zum Angriff an.
»Raus!«, brüllte Charles. Instinktiv hatte er erkannt, dass er das Monster mit seiner Waffe vielleicht für Augenblicke zurückschlagen, jedoch nicht TÖTEN konnte.
Er fuhr herum, gab seiner Frau einen Stoß, der sie quer durch den Raum auf die Hintertür zutaumeln ließ, und rammte der Kreatur gleichzeitig den Gewehrkolben in das einzige, blutrote Auge.
Wieder ertönte dieser grausige, krächzende Schrei, und Charles spürte, dass er dem Wesen diesmal wirklich wehgetan hatte.
Mit einem Mut, der ihn selbst am meisten überraschte, flankte er über den niedrigen Wohnzimmertisch, fuhr herum und riss den Gewehrkolben an die Wange. Für einen kurzen, schrecklichen Moment blickte er direkt in das pupillenlose Auge des Titanen, und eine Welle der Panik und Übelkeit stieg in ihm empor. Dann drückte er ab.
Der Mündungsblitz schien direkt in das Drusenauge des Monsters zu zucken. Das Wesen stieß einen unmenschlichen Schrei aus, taumelte zurück und riss eine Unzahl von Tentakeln und dünnen, biegsamen Nervenfäden vor sein zerstörtes Auge. Es wankte, blieb einen Sekundenbruchteil lang reglos gegen den Türrahmen gelehnt stehen und brach dann langsam in die Knie.
Seine Krakenarme peitschten, zertrümmerten Möbel und rissen tiefe Furchen in die Wände und den Boden. Einer der dünnen, biegsamen Tentakel schlang sich um Charles' Handgelenk und schleuderte ihn zu Boden. Er schrie auf, riss seinen Arm mit einer ungeheuren Kraftanstrengung los und griff nach dem Gewehr, das er fallen gelassen hatte.
Das Ungeheuer tobte und schrie, und seine Arme zischten wie Peitschen durch die Luft. Charles wurde übel, als sich die Kreatur auf den Rücken wälzte.
Keuchend vor Angst und Anstrengung rannte er durch den Raum, riss die Schublade seines Schreibtisches auf und schob mit bebenden Fingern zwei neue Patronen in das Gewehr. Als er den Lauf wieder hochklappte, sah er den Schatten.
Mit einem krächzenden Schrei fuhr er herum. Das Monstrum hatte sich wieder aufgerichtet und kam mit schwankenden, tapsenden Schritten und gierig ausgestreckten Armen auf ihn zu. Und die Wunde in seinem Gesicht begann sich bereits wieder zu schließen.
Der Mann vergaß das Gewehr in seinen Händen. Starr vor Entsetzen und unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren, stand er da und starrte die monströse, drei Meter hohe Gestalt an. Erst als sich der erste Krakenarm um seinen Oberkörper schlang und eine Welle feuriger Schmerzen über ihm
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