Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
beide Hände. Und in dem Augenblick, da ich es berühre, weiß ich, dass es sich dabei um ein Dämonen-Ei handelt - um etwas, wie es nur alle Millionen Jahre einmal erzeugt werden kann.«
»Und dann?«, erkundigte sich Raven in atemloser Spannung.
»Dann platzt das Ei urplötzlich auf. In seinem Inneren befinden sich haarige schwarze Kügelchen, die eines nach dem anderen herauspurzeln und sich in meine Handfläche eingraben. Und von da an bin ich nicht mehr ich selbst. Ich spüre, wie eine fremde Macht mein Bewusstsein übernimmt und mein eigentliches Ich verdrängt. Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild zweier Männer, und wieder weiß ich auf unerklärliche Art, weshalb ich diese Männer vor mir sehe. Ich soll sie jagen und vernichten.« Hillary Gifford zögerte einen Augenblick. »Wie ich schon sagte - einer dieser Männer sind Sie. Und der andere ist nach dem, was Sie sagen, also Ihr Freund Jeff Target?«
Raven nickte schwer. Bei dem letzten Teil von Hillarys Bericht hatte er angefangen, auf den Fingerknöcheln herumzukauen, so sehr entsetzte ihn das, was er da hörte. Wenn Hillary Giffords Träume tatsächlich einen realen Hintergrund hatten - und dafür sprach ihre absolute Übereinstimmung mit den Träumen Cocos -, dann war aus der bislang eher abstrakten Bedrohung der Thul Saduum für die Erde und die gesamte Menschheit auf einmal eine sehr konkrete für Jeff Target und ihn geworden. Und eigentlich war es ein Wunder, dass das über ihnen hängende Damoklesschwert nicht schon längst zum vernichtenden Streich niedergesaust war. Schließlich waren seit den Vorfällen im Steinkreis von Stonehenge schon runde vier Wochen vergangen!
Für diese zeitliche Verzögerung gab es offensichtlich nur eine Erklärung.
Die schwarzen Kügelchen aus dem Dämonen-Ei hatten Schwierigkeiten, ihre menschlichen Opfer exakt zu steuern. Darum benötigten sie viel mehr Zeit, als normalerweise zu erwarten gewesen wäre, ihn - Raven - und Jeff Target ausfindig zu machen - besonders, da sich Jeff ja längst nicht mehr in England, sondern wieder in den Vereinigten Staaten aufhielt. Und wenn ein Angriff erfolgte, dann mit Sicherheit gleichzeitig, damit nicht der eine durch den Tod oder das Verschwinden des anderen gewarnt wurde.
Aber wie dem auch sein mochte - eine besonders große Frist blieb ihnen mit Sicherheit nicht mehr.
Jeden Augenblick konnte der tödliche Schlag erfolgen!
Eine vage Vorahnung ließ Raven den Kopf heben. Wie ein gehetztes Wild blickte er sich in dem vom grellen Neonlicht durchfluteten Innenraum der Disco um. Litt er jetzt schon unter akutem Verfolgungswahn, oder hatte sich die Atmosphäre im Cube wirklich in den letzten Minuten auf untergründige, subtile Art und Weise verändert? Bewegten sich die Tänzer nicht ein kleines bisschen anders - ein kleines bisschen roboterhafter - als zuvor? Und war nicht an merkwürdig vielen Tischen plötzlich die halblaut geführte Unterhaltung verstummt?
Augen begannen sich auf Raven zu richten. Einer der Tänzer kam aus dem Rhythmus und stolperte gegen seine Partnerin, rutschte an ihr hinunter und fiel zu Boden. Sie machte sich nicht die Mühe, ihn aufzufangen, sondern tanzte einfach weiter, wie eine mechanische Puppe, deren Uhrwerk keine komplizierteren Bewegungen als einfaches Vor- und Zurücksetzen der Beine und langsames Schwenken der Arme vorsieht.
Ein weiterer Tänzer - ein Mädchen diesmal - verließ ihren Platz und schoss wie ein Irrläufer zwischen den anderen Jungen und Mädchen hindurch, bis sie mit dem Kopf gegen die Wand prallte. Mit einem Mal waren die Kacheln an dieser Stelle nicht mehr weiß, sondern rot.
Hillary Gifford musterte Raven mit deutlicher Verwirrung. Offenbar las sie in seinem Gesicht wie in einem aufgeschlagenen Buch, wie erregt er auf einmal war, deutete jedoch die Ursachen dafür falsch.
»Mann«, sagte sie irritiert, »ich hätte nie gedacht, dass Sie das so mitnehmen würde. Glauben Sie denn wirklich ...«
»Ja«, unterbrach Raven sie mit tonloser Stimme mitten im Satz. »Ich glaube wirklich, dass wir alle in tödlicher Gefahr schweben - nicht nur Jeff Target und ich, sondern auch Sie. Und zwar jetzt, in diesem Augenblick. Die schwarzen Kügelchen und ihre menschlichen Roboter sind nämlich schon da.« Er beugte sich rasch vor und legte beruhigend die Hand auf Hillarys Unterarm, um sie von einer unüberlegten Reaktion abzuhalten. »Nein, drehen Sie sich nicht um. Springen Sie auch um Himmels willen auf gar keinen Fall auf! Gibt es
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