Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
Herzen. »Danke, Inspektor«, sagte er mit aller Herzlichkeit, der er fähig war. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen das vergelten soll.«
»Nicht nötig«, erwiderte der Londoner Kriminalist trocken. »Schließlich ist Raven auch mein Freund. Bis dann!«
»Bis dann.« Aber das sagte der Reporter schon in eine tote Leitung, denn Card hatte längst aufgelegt. Wie Jeff schien auch er der Auffassung zu sein, dass man nun keine Sekunde mehr verlieren dürfe. Trotz seiner beruhigenden Worte musste auch er sich wesentlich mehr Sorgen machen, als er sich während des Telefongesprächs hatte anmerken lassen.
In der Haupthalle ertönte der letzte Aufruf für den Flug nach New York.
Jeff und Eddie schossen wie Sektkorken aus einer Flasche aus der Telefonzelle, bezahlten hastig die aufgelaufenen Gebühren und stürmten dann über das Landefeld zur schon wartenden Maschine. Sie waren die letzten Passagiere, die an Bord gingen. Hinter ihnen schloss sich die Tür, und sie saßen noch nicht einmal auf ihren Plätzen, da rollte die Maschine schon an. Minuten später waren sie in der Luft.
»Manchmal«, sagte Eddie nachdenklich, »meine ich, ich sei verrückt geworden. Einfach so mit einem wildfremden Mann abzuhauen und über den Ozean zu fliegen! Und noch dazu unter so obskuren Umständen! Findest du nicht auch, dass das, wenngleich romantisch, so doch zumindest ein kleines bisschen überstürzt ist?«
Jeff Target blickte sie von der Seite her an. »Wenn du etwa glaubst, ich hätte das alles nur inszeniert, um dich auf möglichst raffinierte Art und Weise aus Ralphs Wüstenimbiss zu entführen, dann irrst du dich gewaltig«, sagte er, während er den Sicherheitsgurt losschnallte.
Die Blondine kuschelte sich in ihrem Sitz zusammen, als wolle sie dort zusammengerollt wie eine Katze schlafen. »Na, und selbst wenn«, erwiderte sie gelassen, »nützen würde es dir sowieso nicht viel. Ich stehe nämlich eigentlich gar nicht besonders auf Männer, musst du wissen.« Aber dabei blinzelte sie ihm so verschmitzt zu, dass er um alles in der Welt nicht hätte sagen können, ob sie diese Bemerkung ernst gemeint hatte oder nicht. Darum lächelte er nur zurück, ohne zu antworten.
Aber ich werde es noch herausfinden, sagte er sich grimmig. Wenn das alles hier vorbei ist und ich wieder Zeit habe, an angenehmere Dinge zu denken.
Und wenn wir beide dann überhaupt noch leben.
»Miss?«
Das Mädchen an der Pforte des Cube hob überrascht den Kopf, als die heisere Stimme durch das kleine Sichtfensterchen in den Vorraum der Discothek drang. Da sie in Gedanken immer noch bei dem ungewöhnlichen Gast Hillary Giffords gewesen war, den sie soeben eingelassen hatte und der gerade durch die Schwingtüren im Inneren der Disco verschwunden war, hatte sie völlig vergessen, die Scheibe wieder zu schließen.
Ärgerlich über die Unterbrechung drehte sie sich um. Hinter dem hölzernen Viereck erkannte sie im grellen Licht der Neonröhren über dem Eingang einen vielleicht dreißigjährigen Mann, der genau wie der vorige Gast ganz und gar nicht zum teuren Glitzerschund der angepunkten Nobeldisco passte. Mit gelangweiltem Gesichtsausdruck trat sie dichter an das Fensterchen heran.
Einen dieser Typen konnte man ja schon mal hereinlassen, wenn er als persönlicher Gast einer so prominenten Stammkundin wie Hillary Gifford kam, aber zwei von der Sorte waren ganz entschieden zu viel des Guten. Ihre Hand langte zur Fensterklappe hinauf, um sie dem Neuankömmling vor der Nase zuzuschlagen, aber der legte rasch die Hand ins Fenster, sodass sie es nicht schließen konnte, ohne ihm die Finger zu zerquetschen.
»Der Herr, der da gerade Ihr Lokal betreten hat«, sagte der Fremde mit seltsam schleppender Sprechweise, »war das nicht Mr. Raven?«
Das Mädchen runzelte die Stirn. »Keine Ahnung«, erwiderte sie unwillig. »Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht verraten. Unsere Gäste genießen völlige Diskretion. Und jetzt nehmen Sie Ihre Hand vom Fensterrahmen, damit ich die Scheibe zumachen kann, ja?«
Sie wusste selbst nicht, warum sie so grob zu dem Fremden war. Vielleicht, weil er ihr vom ersten Augenblick an so unsympathisch war, dass sie beinahe körperlichen Widerwillen gegen ihn verspürte?
Der Mann ließ die Hand dort, wo sie war. »Wenn es Mr. Raven ist«, sagte er stockend, »dann habe ich eine wichtige Nachricht für ihn. Schauen Sie einmal her!«
Unwillkürlich brachte das Mädchen ihr Gesicht noch dichter an das Fenster
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