Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
Augen einen seltsamen Druck verspürte - wie von ungeweinten Tränen.
Janice!
Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich Ravens Brust. Er machte ein paar Schritte in den Raum hinein. »Schön, euch zu sehen«, sagte er leise, aber er hatte nur Augen für Janice.
Sie antworteten nicht. Sie kamen nur langsam auf ihn zu, mit ausgestreckten Händen. Auf ihren Handflächen erkannte Raven schwarze Flecken, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Und als er genauer hinblickte, bemerkte er, dass es sich keineswegs um Flecken, sondern um Löcher handelte - Löcher, die tief in das Fleisch hinab führten und aus denen nun kleine, anthrazitfarbene Kügelchen zu krabbeln begannen ...
Da endlich begriff er die entsetzliche Wahrheit. Gequält stöhnte er auf.
Janice, Card, Jeff Target, Sir Anthony, Hillary und die drei anderen, deren Namen er nicht kannte, existierten nicht mehr als eigenständige Wesen.
Alle seine Freunde waren zu Marionetten der Thul Saduum geworden - zu Marionetten des grässlichen Dämonen-Eis!
Hinter ihm schlug die Tür zu. Er wirbelte herum und sah in Hives' ausdrucksloses Gesicht. Aber diesmal war es nicht jene Ausdruckslosigkeit, die von Butlern aus Gründen des Stils kultiviert wird, sondern die Ausdruckslosigkeit des vollständigen Persönlichkeitsverlusts.
Mit einem Satz wich Raven an die Wand zurück, drückte sich mit dem Rücken dagegen. Die neun Thul-Saduum-Marionetten bildeten einen Halbkreis, der sich immer dichter um ihn schloss.
Er war verloren, und er wusste es auch. Vielleicht hätte er einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen sollen, die Umzingelung zu durchbrechen und die Tür zu erreichen, aber die Tatsache, dass auch Janice zu einem entseelten Zombie geworden war, hatte seinen Widerstandsgeist ein für alle Mal gebrochen.
Mit stumpfen, ausdruckslosen Augen sah er den näher kommenden Marionetten entgegen, diesen Robotern aus Fleisch und Blut, die ihn gleich zu einem der Ihren machen würden.
Das, dachte Raven betäubt, ist auch ein Weg, dem Fluch zu entgehen, der wegen der Untaten meines Vorfahren auf mir liegt. In Zukunft werde ich nicht mehr gegen das Böse kämpfen müssen - weil ich selbst ein Teil des Bösen bin. Ein Teil jener Vorhut, die die Thul Saduum ausgeschickt haben, um die Erde zu erobern und die gesamte Menschheit zu versklaven ...
Millimeter vor seinem Gesicht verharrten die ausgestreckten Hände der Zombies. Voll unaussprechlichen Ekels beobachtete er die über die Handflächen und Finger krabbelnden, spinnengleichen Kügelchen, verfolgte, wie sie immer schneller hin und her huschten, als seien sie begierig darauf, sich wieder in ein neues Opfer bohren zu können.
Es war ein entsetzlicher Augenblick, und er zog sich unendlich lange hin.
Dann begann Janice - jene Janice, die er einmal geliebt hatte - mit tonloser Stimme zu sprechen.
»Hab keine Angst«, sagte sie mit unwirklicher Zärtlichkeit. »Weißt du, es tut nicht weh. Du wirst ...«
Weiter kam sie nicht. Ihre Worte erstarben zu einem panikerfüllten kleinen Wimmern, als direkt zwischen ihr und Raven wie aus dem Nichts ein schwarzer Rauchschleier aufwallte. Janice und die anderen Zombies stolperten zurück, machten dem sich immer mehr ausbreitenden und verdickenden Rauch nahezu ehrerbietig Platz.
Raven glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Aus dem Wallen und Brodeln schälte sich eine wohlvertraute Gestalt. Sie war gigantisch - ein breitschultriger, muskelbepackter Riese, dessen schwarzes Gesicht im Licht des Kronleuchters wie poliertes Ebenholz glänzte und der selbst ohne seinen gehörnten Helm noch fast zweieinhalb Meter Höhe erreicht hätte. Ein bodenlanger, gleichfalls schwarzer Umhang bauschte sich wie in einem unsichtbaren Wind um seinen mächtigen Körper.
Früher einmal war er ein Mensch gewesen, aber diese Zeit lag so lange zurück, dass die Erinnerung daran längst aus seinem Gehirn verschwunden war. Jetzt aber war er ein Dämon, ein Wesen des Jenseits, für das völlig andere Gesetze galten als für sterbliche Menschen.
Pupillenlose schwarze Augen blickten sich um, erfassten blitzschnell, was in diesem Raum vor sich ging. Dann wandte sich das dunkle, grobschlächtige Albtraumgesicht unter dem gehörnten Helm zu Raven um und lächelte entschuldigend.
»Na, da wäre ich ja beinahe zu spät gekommen, was?«, sagte Boraas, der Schattenreiter, fröhlich.
Das Nächste, was Raven wahrnahm, war eine riesige Pranke, die wie eine Baggerschaufel auf ihn zuschoss und sich
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