Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
abgelaufen«, antwortete sie. »Aber wenn ich jetzt sehe, was in Tokio passiert ist ... Zwei solche Ereignisse, da fällt es mir schwer, an einen Zufall zu glauben.«
»Vielleicht ist sogar noch viel mehr passiert, was wegen der Katastrophe in Tokio gar nicht erst in den Nachrichten erwähnt wird«, ergänzte Raven düster. »Trotz der großen Entfernung habe ich auch Zweifel, dass es sich um völlig voneinander unabhängige Ereignisse handelt.«
»Dann ... dann steht uns womöglich noch viel Schlimmeres bevor?«, fragte Sir Anthony. Noch niemals hatte Raven ihn so fassungslos und entsetzt gesehen. »Und dabei wollte ich dieses Wochenende meinen neuen Landsitz außerhalb von London einweihen, eine Art Altersruhesitz. In der Stadt wird es mir allmählich zu hektisch, zu laut und zu schmutzig. Hives sollte morgen bereits vorausfahren und alles für unsere Ankunft vorbereiten.«
»Womöglich ist es gar keine schlechte Idee, wenn Sie London für ein paar Tage verlassen«, sagte Raven nachdenklich. »Jedenfalls bis wir etwas mehr herausgefunden haben. Bis jetzt wissen wir noch nicht einmal, ob der Angriff der Untoten Hillary oder mir galt. Unter diesen Umständen halte ich es sogar für eine ganz ausgezeichnete Idee, wenn Sie eine Weile mit ihr untertauchen.«
Die Hillary, die er damals gekannt hatte, hätte gegen einen solchen Vorschlag vermutlich noch entschieden protestiert, aber was sie heute erlebt hatte, schien auch ihrem Unternehmungsgeist einen erheblichen Dämpfer versetzt zu haben.
»Ich weiß nicht recht«, murmelte Sir Anthony zweifelnd. »Sie sind schließlich Experte für solche Fälle, Raven. Wenn dieser Angriff wirklich Hillary galt und sich wiederholt, sind wir dort draußen so weit ab vom Schuss, dass Sie kaum in der Lage sein dürften, uns rechtzeitig zu Hilfe zu eilen.« Er kratzte sich am Kopf. »Haben Sie und Miss Land eigentlich inzwischen geheiratet?«
»Nein«, erwiderte Raven perplex. Er hatte Schwierigkeiten, den plötzlichen Gedankensprung nachzuvollziehen. »Wir sind immer noch verlobt. Aber was ...?«
»Dann mache ich Ihnen einen Vorschlag«, fiel Sir Anthony ihm ins Wort. »Begleiten Sie und Ihre Verlobte uns doch, wenigstens für einige Tage. Wir würden uns deutlich sicher fühlen. Nur unter diesen Umständen bin ich bereit, abzureisen.«
Raven zögerte. Er mochte es nicht, wenn ihm das Heft des Handelns so aus der Hand genommen wurde. Gerade in einer Situation wie dieser sollte er zu einem Wochenende aufs Land fahren?
Anderseits - die Untoten waren unter rätselhaften Umständen während einer Beschwörung erwacht, an der Hillary teilgenommen hatte. Es war also durchaus vorstellbar, dass sie wirklich in großer Gefahr schwebte, und wenn er die Möglichkeit hatte, sie zu beschützen ...
»Ich kann das nicht allein entscheiden, sondern muss erst mit Janice sprechen«, sagte er lahm, aber im Grunde war die Entscheidung damit schon gefallen.
Um die Mittagsstunde des nächsten Tages erreichte Hives zusammen mit Mrs. Baltimore, der Haushälterin und Köchin Sir Anthonys, den Landsitz. Vor Monaten war er schon einmal hier gewesen, aber da war das Haus nicht viel mehr als eine halb verfallene Ruine gewesen, das Pflaster des Hofes zwischen den hufeisenförmig angeordneten Gebäuden mit Kratern übersät und der Garten eine fast undurchdringliche Wildnis.
Nun jedoch ...
»Das - das ist wunderschön«, stieß Mrs. Baltimore hervor, als sie zusammen mit dem Butler ausgestiegen war. Sie ließ ihren Blick über die sorgfältig restaurierten Natursteingebäude schweifen. Sie war eine etwas mollige, kleinwüchsige Frau mit einem pausbäckigen Gesicht, die jedoch äußerst resolut sein konnte, wie Hives aus Erfahrung wusste. Ihr angegrautes Haar trug sie meist zu einem Dutt zusammengesteckt, was sie älter und großmütterlicher aussehen ließ, als sie tatsächlich war.
»Das ist es«, bestätigte Hives. »Es wird auch der kleinen Hillary gefallen. Hier kann sie spielen und sich richtig austoben.«
Die Köchin warf ihm einen resignierten Seitenblick zu. Während der ganzen Fahrt hierher hatte Hives einen völlig normalen Eindruck gemacht. Manchmal vergaß sie seine kleinen Macken nahezu, bis er dann wieder etwas sagte oder tat, das den Eindruck der Normalität zerstörte.
Sie gingen auf das Eingangsportal zu und schlossen es auf, dann betraten sie das große Gebäude. Auch im Inneren waren alle Arbeiten mittlerweile abgeschlossen, sodass das Haus in frischem Glanz erstrahlte. Zumindest im
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