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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zugeben, dass sie sich schön fand.
    Und nicht nur schön. Auch attraktiv.
    Erotisch anziehend.
    Und Seymour schien das ebenfalls zu finden. Er begehrte sie jedenfalls viel mehr als in den Zeiten vor Beginn der Schwangerschaft.
    Eine wohlige Wärme stieg in ihr auf und trieb ihr eine zarte Röte ins Gesicht. Mit einem Male wurde sie sich wieder bewusst, wie sehr sie dieses Kind doch liebte, das da in ihr heranwuchs. Um seiner selbst willen. Weil es, obgleich noch ungeboren, ihr schon so viel gegeben hatte. Und weil es nicht nur ihr Kind, sondern auch Seymours war.
    Tic? Tic? Tic-tac?
    Das Klappern von unten klang jetzt beinahe fragend, ein wenig so, als dächte Seymour mit den Fingern nach, um ein bestimmtes Wort, eine bestimmte Wendung zu suchen, das wie kein anderes die Vorstellungen, die er in seinem Kopf hegte, auf die weiße Leere des eingespannten Bogens vor ihm übertragen würde. Wenngleich im täglichen Leben kein Pedant, war Seymour doch überaus genau mit dem, was er schrieb. Mit halben Lösungen gab er sich nicht zufrieden; jedes Wort, jeder Satz musste stimmen. Nicht umsonst hatte man ihn nach dem Erscheinen seines ersten großen Bestsellers mit seinem berühmten Kollegen Stephen King verglichen. Wie er schrieb er fantastische, unheimliche Geschichten, und wie er verstand er es auf seine eigene, unnachahmliche Art, mit Worten Stimmungen zu schaffen, die den Willen des Lesers betäubten.
    Um das zu erreichen, war eine Menge Arbeit vonnöten. Seymour Devlin revidierte seine Manuskripte oft mehrere Male.
    Tic-tic-tic-tac. Tic-tac. Tic-tic-tic-tac.
    Anne warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und ging dann langsam über den tiefen, wollweißen Fransenteppich ihres Ankleidezimmers zurück zum Sessel. Beruhigt ließ sie sich wieder in die Polster sinken. Seymour hatte seinen Rhythmus wieder gefunden, schrieb schnell und sicher weiter. Professionell. Der ungeheure Erfolg seines ersten Buches und das überschwängliche Lob der Kritiker hatten ihn unter enormen Erfolgsdruck gesetzt, und es gab Tage, an denen er mitten in einem Kapitel stockte und beim besten Willen nicht weiterschreiben konnte.
    In solchen Augenblicken plagten ihn die Selbstzweifel so sehr, dass er mit dem, was er in den letzten Stunden geschrieben hatte, zu Anne kam und sie bat, das Manuskript zu prüfen. Sie tat es nicht gerne, aber das sagte sie ihm nicht. Er erfuhr auch nichts von den Albträumen, die sie des Nachts heimsuchten, wann immer sie Teile seines neuen Buches gelesen hatte.
    Der Gedanke an ihre nächtlichen Träume ließ sie erschauern, als habe man ihr Eiswasser auf die bloße Haut geträufelt. Der Gedanke daran - nicht die Erinnerung. Wenn sie in den dunklen Stunden vor Anbruch der Dämmerung schweißgebadet erwachte, einen Schrei in der wie zugeschnürten Kehle, den sie zurückhielt, um Seymour nicht zu wecken, dann konnte sie sich um alles in der Welt nicht mehr erinnern, was sie nun eigentlich geträumt hatte. Was blieb, war das Gefühl einer alles überschattenden Bedrohung - einer Bedrohung weniger für sie selbst oder für Seymour als vielmehr für ihr Kind. Und oft gelang es ihr nach solchen Albträumen nicht, wieder einzuschlafen. Sie lag dann bis zum Morgen wach, die Arme wie zum Schutz des Ungeborenen über dem Leib verschränkt, und spielte die Schlafende, wenn ihr Mann sich neben ihr regte.
    Jetzt, tagsüber und in der mild erleuchteten Höhle ihres Boudoirs, kam ihr das alles närrisch vor. Wahrscheinlich war sie einfach bloß durch ihre Schwangerschaft besonders empfindlich geworden. Die Dinge, mit denen sich Seymour tagtäglich beschäftigte, um den Lebensunterhalt für sie und das Baby zu sichern, wären auch für jemanden mit einer nicht durch die Probleme und den Stress einer Schwangerschaft belasteten Psyche bisweilen schwer erträglich gewesen. Mehr noch als bei seinem ersten Buch verließ Seymour sich diesmal nicht allein auf seine Einbildungskraft, sondern arbeitete mit historischen Fakten, denen er nur noch ein fantastisches Element hinzufügte. Sein neuer Roman handelte von den Hexenjägern, die vor etlichen Jahrhunderten die britischen Inseln heimgesucht und das Land mit Angst und Schrecken überzogen hatten.
    Das war auch einer der Hauptgründe gewesen, warum sie nach England gezogen waren. Seymour, von Geburt Amerikaner, hatte aus eigener Anschauung jenes Land kennenlernen wollen, in dem sein Buch spielte.
    Und Hillcrest Manor mit seiner unwirtlichen, aber wildromantischen Umgebung war

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