Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
sich um insgesamt vier Männer gehandelt haben - hat einen Bankkunden und zwei Polizisten in einem Streifenwagen mit der Maschinenpistole erschossen. Anschließend sind sie mit ihrem Wagen, wahrscheinlich einem Bentley, aus der Stadt entkommen. Seither läuft die Ringfahndung.«
Jetzt verstand Raven die Vorsicht und die schwere Bewaffnung der Beamten. »Und die Beute?«, erkundigte er sich.
Price starrte ihm ins Gesicht. »Keine Beute«, sagte er. »Eine Bankbeamtin hat den Alarm und das Sicherheitsgitter vor der Kundentheke ausgelöst.«
»Schrecklich«, meine Janice. »Und so sinnlos dazu! Glauben Sie, dass die Burschen noch hier in der Nähe sind?«
Konstabler Price schüttelte entschieden den Kopf. »Die haben sich schon längst aus dem Staub gemacht. Aber wenn Sie etwas Verdächtiges sehen, lassen Sie es uns bitte wissen. Vielleicht steht zum Beispiel irgendwo ein verlassener Bentley herum. Das wäre ein gefundenes Fressen für die Leute von der Spurensicherung.« Er reichte ihnen die Papiere ins Wageninnere, trat von dem metallicgrünen Maserati zurück und hob grüßend die Hand. »Hat mich jedenfalls gefreut, Sie kennengelernt zu haben, Miss Land - Mr. Raven. Gute Fahrt - und meine Empfehlung an die Familie Devlin.«
»Danke, Konstabler.« Auch Janice hob grüßend die Hand, dann kurbelte sie das Fenster wieder hoch und ließ mit einigen Schwierigkeiten den Motor an. Der klamme Nebel hatte offenbar die Zündkontakte mit einem feinen Feuchtigkeitsfilm überzogen. Schließlich gelang es Janice aber doch, den Maserati in Gang zu bringen, und Konstabler Price winkte sie mit der Taschenlampe durch die Lücke in der Sperre. Gleichzeitig gab er seinen Kollegen drüben im Streifenwagen ein Handzeichen, dass alles in Ordnung sei.
Trotzdem wurde Raven das unangenehme Gefühl nicht los, dass die MPi-Mündungen ihnen misstrauisch folgten, bis sie um die nächste Kurve bogen und außer Sicht- und Schussweite gerieten.
Wenn es Kollegen von ihnen erwischte, verhielten sich Polizisten immer besonders gereizt.
Tic-tic-tic-tac. Tic-tac. Tic-tic-tic-tac.
Das monotone Klappern der Schreibmaschine drang aus dem Erdgeschoss von Hillcrest Manor herauf, ein hypnotischer Rhythmus, der Anne Devlin beinahe so vertraut geworden war wie ihr eigener Herzschlag, seitdem sie mit Seymour zusammenlebte. Die stabilen Böden und Wände des uralten Herrenhauses dämpften das Geräusch zwar ein wenig ab, aber es war trotzdem allgegenwärtig.
Tic-tic-tic-tac. Tic-tac. Tic-tic-tic-tac.
Für gewöhnlich empfand Anne Devlin dieses beinahe unwirklich ferne Geratter als angenehm. Es verlieh ihr die beruhigende Gewissheit, dass ihr Mann dort unten war, jederzeit erreichbar, wenn sie ihn brauchte. Das Tic-tic-tac war ein Lebenszeichen, etwas, was die Stille aus den Ecken und Winkeln des großen Hauses vertrieb, das sie vor einigen Monaten vom Erlös des ersten Bestsellers aus Seymours Feder gekauft hatten und in dem sie nun ganz allein fernab der nächsten menschlichen Ansiedlung lebten, seit sie nach England gekommen waren. Seymour Devlin brauchte diese Abgeschiedenheit, um sich in aller Ruhe auf die Vollendung seines neuen Romans konzentrieren zu können.
Tic-tic-tac. Tic. Tac.
Die plötzliche Störung im Rhythmus der schweren elektrischen Schreibmaschine unterbrach auch Anne Devlins Gedankenfluss. Mit einem Seufzer erhob sie sich aus dem wuchtigen Plüschsessel, in dem sie mit angezogenen Beinen gehockt hatte, legte achtlos die aufgeschlagene Zeitschrift beiseite und ging hinüber zu dem mannshohen Spiegel an der anderen Seite des Raumes.
Seitdem sie schwanger geworden war, liebte sie es, sich jeden Tag im Spiegel zu betrachten, zu beobachten, wie sich ihr Leib von Woche zu Woche weiter vorwölbte und sich ihr gesamter Körper verwandelte. Jetzt, am Ende des siebten Monats der Schwangerschaft, hatte sie sich in einem Maße verändert, wie sie es früher nie für möglich gehalten hätte. Die schwangerschaftsbedingte Umstellung des gesamten Hormonhaushalts hatte ihr wirklich gut getan. Ihre Haut war frischer geworden, ihre Augen blitzten, sie hielt sich aufrechter, und selbst ihr aschblondes, schulterlanges Haar schien lockerer zu fallen.
Sie drehte sich einmal vor dem Spiegel um sich selbst, wobei sich ihr leichtes, halb transparentes Hauskleid bauschte, als fahre ein Windstoß hinein. Die ebenmäßige, unglaublich sanfte geschwungene Rundung ihres schwangeren Leibes zeichnete sich deutlich unter dem dünnen Chiffon ab. Sie musste
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