Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Befehl.
Raven stolperte vorwärts, als sich die Spitze der Klinge in seinen Rücken bohrte. Aus dem Gang wehte ihm kalte, modrig riechende Luft entgegen. Der Boden zitterte sanft, und irgendwo tief im Felsen unter seinen Füßen erklang ein dumpfes, hallendes Donnern. Gleichzeitig wurde es spürbar wärmer.
Er ging schneller. Die Hitze kam von hinten, aus dem Raum, den sie soeben verlassen hatten. Er sah an der gebückt gehenden Gestalt des Schattenreiters vorbei und bemerkte, dass die steinerne Falltür in stumpfem Rot zu glühen begann. Er war wirklich im letzten Moment entkommen.
Der Gang zog sich mehrere hundert Meter tief in den Fels hinein und endete so abrupt, wie er begonnen hatte. Raven blieb unwillkürlich stehen, als er aus dem Stollen hinaustrat. Vor ihm erstreckte sich eine Höhle von wahrhaft gigantischen Ausmaßen. Die Decke verlor sich irgendwo in mehr als hundert Metern Höhe über seinem Kopf in ungewissem Dunkel. Von den Wänden tropfte Feuchtigkeit in schmalen, schimmernden Bahnen, und der Boden war mit unzähligen kleinen, scharfkantigen Lavabrocken übersät, die das Gehen zu einer Qual werden lassen mussten.
Raven spürte den harten Druck der Schwertklinge im Rücken, machte einen zögernden Schritt und blieb abermals stehen.
Der Boden brach wenige Meter vor ihnen in einer messerscharf gezogenen Linie ab und stürzte senkrecht in die Tiefe, ein bodenloser, gigantischer Schacht, dessen gegenüberliegende Wand nicht einmal sichtbar war.
»Geh weiter!«
Raven erhielt einen harten Stoß in den Rücken und stolperte vorwärts. Eine schmale, kaum mehr als meterbreite Steinbrücke führte rechts von ihm über den Abgrund. Der Schattenreiter trieb ihn darauf zu.
Raven betrachtete das Bauwerk misstrauisch. Es sah alles andere als Vertrauen erweckend aus. Die dünne, aus natürlichem Felsgestein bestehende Brücke führte in einem kühn geschwungenen Bogen über den Abgrund hinweg. Es gab keine erkennbaren Stützen oder Pfeiler, kein Geländer, nichts, an dem er sich hätte festhalten können. Die Brücke schien nichts als ein Felsstück zu sein, das durch eine Laune der Natur stehen geblieben war, als die Decke über dem darunterliegenden Hohlraum eingebrochen war. Ihre Oberfläche fiel nach beiden Seiten leicht ab, und der Stein glänzte, als wäre er poliert. Der Gedanke, auf diesem schmalen Pfad über den Abgrund balancieren zu müssen, behagte Raven gar nicht. Aber es gab keinen anderen Weg.
Trotzdem bedurfte es eines weiteren schmerzhaften Rippenstoßes, ehe er endlich zögernd den Fuß auf den Beginn der Steinbrücke setzte und einen ersten Schritt wagte. Sein Blick fiel an dem kaum handtuchbreiten Felsstück vorbei in die Tiefe. Die Wände des Schachtes stürzten senkrecht hinunter. Hundert, zweihundert, dreihundert Meter und mehr. Vielleicht führt dieser Schacht geradewegs in die Hölle hinab, dachte Raven schaudernd.
Er schloss für einen Moment die Augen, drängte das aufkommende Schwindelgefühl zurück und ging langsam los. Wieder ertönte tief unter ihm ein dumpfes Grollen, und der Fels unter seinen Füßen schwankte spürbar. Aber er war jetzt bereits zu weit, um noch umzukehren.
Er ging langsam weiter und warf von Zeit zu Zeit einen Blick über die Schulter zurück. Der Schattenreiter folgte ihm in wenigen Schritten Abstand mit traumwandlerischer Sicherheit. Der bodenlose Abgrund direkt neben ihm schien ihm nicht das Geringste auszumachen.
Raven war schweißgebadet, als das gegenüberliegende Ende des Schachtes schließlich vor ihm auftauchte.
»Gleich hast du es geschafft«, sagte der Schattenreiter hinter ihm. Seine Stimme troff vor Hohn. »Dein Herzenswunsch soll dir erfüllt werden. Unser Herr freut sich schon darauf, dich zu sehen. Und du wirst auch deine Freundin wiedersehen. Ich weiß nur nicht, ob dir die Begegnung Freude bereiten wird.«
Raven zuckte bei dem letzten Satz wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Janice! Die Worte des Unheimlichen bewiesen, dass sie immer noch in der Gewalt der Dämonen war. Er musste etwas unternehmen. Und zwar jetzt. Wenn sie erst in das eigentliche Herrschaftsgebiet der Dämonen eingedrungen waren, würde er keine Gelegenheit mehr dazu haben.
Er beschleunigte seine Schritte, bis er das Ende der Steinbrücke fast erreicht hatte, blieb einen halben Meter vor der Felskante stehen und drehte sich um.
Der Dämon blieb ebenfalls stehen. »Warum gehst du nicht weiter?«, fragte er grollend. Seine Augen blitzten misstrauisch auf. Das
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