Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Schwert in seiner Rechten hob sich unmerklich.
Raven wich einen halben Schritt zurück und spannte sich. Der Dämon folgte ihm misstrauisch. Die Spitze seines Säbels deutete drohend auf Ravens Gesicht. »Geh weiter!«, befahl er. Seine Stimme zitterte merklich.
Raven schüttelte entschlossen den Kopf. In seinem Gehirn nahm ein verwegener Plan Gestalt an. »Zwing mich, wenn du kannst.«
Der Dämon stieß ein ärgerliches Schnauben aus. »Geh weiter, oder ich hacke dich in Stücke!«
»Greif mich an, und wir sterben beide«, sagte Raven. »Du kannst mich töten, aber ich verspreche dir, dass ich dich mit in die Tiefe reiße.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den gähnenden Abgrund. »Na? Wie gefällt dir die Vorstellung?«
Der Dämon blickte nervös in den Abgrund und machte einen zögernden Schritt, blieb aber sofort wieder stehen, als Raven die Hände hob. In seinem Gesicht arbeitete es. Raven konnte sich deutlich vorstellen, was hinter der Stirn des Riesen vorging. Für ein Wesen, das jahrhunderte-, vielleicht jahrtausendelang in dem Wissen gelebt hatte, absolut unverletzlich und unsterblich zu sein, musste die Vorstellung eines plötzlichen Todes doppelt schreckhaft sein. Und Raven gedachte diesen Vorteil auszunützen.
»Du bist nicht mehr unverwundbar, denk daran«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Du kannst mich töten, aber dann stirbst du ebenso.«
Der Dämon schwieg eine ganze Weile. »Du kannst nicht ewig dort stehen bleiben«, sagte er schließlich. »Irgendwann wirst du müde. Dann töte ich dich.«
Raven nickte. »Das stimmt. Jedenfalls wirst du es versuchen. Aber ich werde nicht so lange warten.«
Er richtete sich auf und trat einen Schritt auf den Dämon zu.
Der Schattenreiter zuckte zusammen. Die Waffe in seiner Hand zitterte. »Was - was hast du vor?«, fragte er nervös. Sein Blick fiel an Raven vorbei in die Tiefe und richtete sich dann wieder auf sein Gesicht.
»Gib mir deine Waffe!«, verlangte Raven. »Leg das Schwert auf den Boden. Und dann gehst du zurück. Zehn Schritte sind genug.«
In den Zügen des Dämons mischten sich Unglauben, Überraschung und langsam aufkeimender Zorn.
»Du bist verrückt«, sagte er. »Warum sollte ich das tun?«
»Weil ich dich sonst in die Tiefe stoße«, antwortete Raven ernsthaft und trat einen weiteren Schritt auf den schwarzen Riesen zu. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Was er tat, war ein reines Vabanquespiel, aber seine gewagte Rechnung schien aufzugehen. Der Dämon war verunsichert. Der Schock über den Verlust seiner Unverwundbarkeit saß noch zu tief in ihm.
»Leg die Waffe weg!«, verlangte Raven noch einmal. »Ich tue es. Ich habe nichts mehr zu verlieren, denk daran. Wenn wir dort drüben ankommen« - er deutete mit dem Daumen über die Schulter zurück -, »bin ich sowieso so gut wie tot. Der Gedanke, noch einen von euch mitzunehmen, gefällt mir immer besser.«
Der Schattenreiter zögerte sichtlich. Das Schwert senkte sich um eine Handbreit.
Raven sprang.
Sein Fuß zuckte vor, traf die Schwerthand des Riesen und schmetterte sie zur Seite. Der Dämon schrie auf, ließ die Waffe fallen und taumelte mit wild rudernden Armen zurück. Das Schwert klirrte auf den Felsen, rutschte ab und verschwand in der Tiefe.
Raven prallte schwer auf dem Boden auf, knickte ein und fiel auf Hände und Knie. Für einen kurzen, schrecklichen Moment verlor er auf dem spiegelglatten Boden den Halt.
Dann krallten sich seine Finger in winzigen Unebenheiten des Felsens fest. Er warf sich herum, sprang auf und hielt nach dem Schattenreiter Ausschau.
Der Dämon war ebenfalls zu Boden gestürzt. Aber er hatte nicht so viel Glück wie Raven gehabt. Seine Beine pendelten hilflos über dem Abgrund, und die Hände griffen verzweifelt auf dem spiegelglatten Boden nach Halt.
Aber der Riese verfügte über Kraftreserven, die die eines normalen Menschen bei Weitem überstiegen. Er warf sich mit einem wütenden Knurren nach vorne, bekam den gegenüberliegenden Rand der Brücke zu fassen und zog sich mit einer kraftvollen Bewegung nach oben.
Sein Gesicht verzerrte sich vor Hass, als er sich aufrichtete.
»Hund«, knurrte er. »Verdammter Hund! Dafür sollst du büßen!«
Er duckte sich, breitete die Arme aus und kam mit langsamen Bewegungen auf Raven zu.
Raven sah sich verzweifelt um. Sein Angriff hatte ihn wieder auf die schmale Steinbrücke hinausgeführt. Das rettende Ende lag fünf Meter hinter ihm. Viel zu weit. Der tobsüchtige
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