Raven (Shadow Force) (German Edition)
Libyen unterstützen sollten. Er galt seit Monaten als vermisst und war von offizieller Seite für tot erklärt worden, doch damit wollte und konnte sich Lianne nicht abfinden. Sie spürte, dass er lebte und würde nicht aufhören , etwas über seinen Verbleib in Erfahrung bringen zu wollen . Um das zu tun, musste sie leben. Sie durfte nicht aufgeben. Also kämpfte sie sich auf die Knie. Als sich die Schmerzen in ihrem Schädel und Nacken verstärkten, stöhnte sie leise auf. Wenigstens schienen die Knochen in ihrem Leib heil zu sein. Langsam robbte sie sich tastend vorwärts. Sie blinzelte angestrengt, doch ihr Blick war noch immer getrübt und sie konnte lediglich milchige Schemen erkennen. Schemen und das Wechselspiel des Lichts. Endlich vernahm sie lauter werdende Stimmen und Geräusche. Jemand war ganz in ihrer Nähe. Und dieser Jemand rief ihren Namen.
„Lianne Morgan?“ Eine kräftige, männliche Stimme drang zu ihr durch. „Lianne?“
„Hier.“ Sie krächzte wie ein heiserer Rabe. Ob er sie hören würde? Sie robbte sich weiter vorwärts, Zentimeter um Zentimeter. Auf die Stimme zu, die vielleicht Hilfe und Rettung versprach. „Ich bin hier!“
Sie fühlte zuerst seine Wärme, dann seinen Körper und wurde von kräftigen Armen hochgehoben.
Ein Gefühl von Nähe, Vertrautheit überkam sie. Vielleicht war die Erscheinung vor der Hall doch keine Einbildung gewesen.
„Frank?“
Keine Antwort.
Der Mann presste sie an sich und hastete im Laufschritt über den langen Flur in Richtung des riesigen, offenen Treppenhauses. Gewaltige Stützbalken hatten sich gelöst und einen Teil der opulenten und öffentlich zugänglichen Wendeltreppe zerstört. Man konnte die große, klaffende Lücke deutlich erkennen, die ihnen eine Flucht unmöglich machen würde. Aus der Tiefe züngelten Flammen zu ihnen empor und der giftige Rauch wurde immer dichter. Sie waren gefangen.
Lianne war sich immer noch unsicher, ob es ihr Bruder war, der ihr zu Hilfe kam. Wenn sie ihn gerade in diesem Moment gefunden hatte, nur um ihn gleich wieder zu verlieren. Nein, das würde sie weder ertragen noch zulassen.
„Ich bin ein Freund.“
Natürlich war es nicht Frank. Ernüchterung machte sich für einen Moment breit. Der Fremde sprach mit einem leichten Akzent und schien dunkle Haare zu haben. Wie sollte Frank auch plötzlich hierherkommen, wenn nicht in ihrer überreizten Fantasie. Wahrscheinlich hatte sie i rgendetwas auf den Kopf bekommen. Am nächsten Tag würde bestimmt ein mächtiges Hörnchen ihren Schädel zieren. Neben einiger blauer Flecke, Schnittwunden und Schrammen. Das allerdings nur, wenn sie dieses Inferno irgendwie überleben würde. Ihre Lebensgeister meldeten sich und sie spürte das Blut wild durch ihren Körper pulsieren.
„Wir müssen sofort raus aus dem Gebäude.“
„Ist klar“, krächzte sie. Auf diese Idee war sie schon selbst gekommen. Jetzt musste sie nur ihren Körper überzeugen, zu funktionieren. Dann war alles geritzt und sie würde sich nicht weiter tragen lassen müssen. Noch verweigerten ihr allerdings die Beine den Dienst.
„Keine Sorge, ich bringe dich in Sicherheit, Li.“
Sie erhaschte einen verschwommenen Blick auf ein kantiges Kinn, dunkle Bartstoppeln, doch der Qualm und Staub bissen quälend in ihren tränenden Augen.
„Das ist … nett“, brachte sie hervor. Im gleichen Moment ärgerte sie sich über ihre Worte. Nett? Das klang genauso bescheuert wie Babys Kommentar 'Ich habe eine Wassermelone getragen' in Dirty Dancing, einem ihrer Lieblingsfilme. Und wie kam sie jetzt da drauf? Wahrscheinlich verabschiedete sich ihr Verstand, aber das war nach diesem explosiven Erlebnis und den letzten Wochen kein Wunder. Genug war genug. Sollte sich das Schicksal einen anderen Menschen zum Malträtieren suchen. Hatte sie nicht genug durchleiden müssen? Dennoch war es seltsam, dass sie sich in diesen muskulösen Armen geborgen, beschützt und gut aufgehoben fühlte. Noch seltsamer, dass der fremde Mann sie bei ihrem Spitznamen genannt hatte. Ich bringe dich in Sicherheit, Li, das hatte er gesagt. Nur ihre Eltern und Frank hatten sie Li genannt. Wie er die angekündigte Rettungsaktion in diesem Chaos erfolgreich bewerkstelligen wollte, war eine andere Frage. Eine Frage, auf die sie lieber keine Antwort suchte.
Aus einem verschlossenen Raum nur wenige Meter vor ihnen drangen laute, schrille Schreie. Da riefen Menschen in Todesangst. Sie konnten sich wahrscheinlich aus eigener Kraft nicht
Weitere Kostenlose Bücher