Raven (Shadow Force) (German Edition)
zumeist in einer Generation auf. Mehr oder weniger stark ausgeprägt“, erklärte ihr Scarlett. „Mein kleiner Bruder hat zum Beispiel auch einige Begabungen. Er hadert noch damit.“
Lianne überlegte lange, dann entschied sie sich für die Wahrheit. „Als Kinder konnten Frank und ich kommunizieren, ohne zu sprechen. Es ging allein mit unseren Gedanken. Ich merkte allerdings schnell, dass man als Freak oder anormal betrachtet wird.“
„Und du hast diese Fähigkeiten unterdrückt?“, vervollständigte Scarlett.
„Ja, ich wollte ein normales Kind sein. So wie alle anderen. Meine Eltern haben mich darin bestärkt.“ Warum verteidigte sie sich eigentlich? Lianne forschte in ihrem Inneren und fand keine plausible Antwort.
„Und dann ging es irgendwann nicht mehr?“
„Richtig. Ich konnte Frank nicht mehr … hören. Und war erleichtert. Er hat meine Entscheidung nie wirklich verstanden.“ Lianne erinnerte sich nur zu gut an Franks Enttäuschung. Er hatte seine paranormalen Kräfte angenommen, ausgebaut und nie bereut, sich für diesen Weg entschieden zu haben. Ihre Eltern waren jedoch froh gewesen, wenigstens ein normales Kind zu haben, das nicht permanent über die Stränge schlug. Auch wenn sie Frank genauso geliebt hatten wie seine Schwester, diese Seite an ihm war ihnen fremd und suspekt geblieben.
„Alles Andersartige macht den Menschen Angst, ich kenne das aus eigener Erfahrung.“ Scarlett stellte ihre Tasse auf den marmorierten Holztisch und lächelte Lianne zu. „Jeder muss selbst entscheiden, welchen Weg er gehen will.“
„Hast du auch Probleme gehabt?“
„Eine Menge“, Scarlett nickte. „Es ging uns allen so. Raven durchlief als kleines Kind mehrere Pflegefamilien, bis sie ihn schließlich als unerziehbar in ein Heim abschoben. Er geriet auf die schiefe Bahn, bis er zum Militär kam.“ Ihre Miene hatte sich verfinstert. „Ich weiß das aus seinen Akten, er selbst spricht nie darüber. Vielleicht ist er deshalb so, wie er ist. Unnahbar, selbstzerstörerisch und unfähig, sich zu binden.“
Warum erzählte ihr Scarlett davon? Sie war sicher, dass Scarlett einen besonderen Grund hatte und im Normalfall keine Tratschtante war. Wollte sie eine freundschaftliche Warnung aussprechen, nicht zu viel e Emotionen in die Geschichte zu legen? Keine Gefühle für Raven aufkommen zu lassen? Dafür war es zu spät. Sie hatte sich bereits in diesen düsteren Mann verliebt, der ihr das Leben gerettet hatte. Er konnte auch ganz anders sein. Zärtlich und liebevoll. Er hatte es verdient, geliebt zu werden.
„Du hast dich in ihn verliebt, oder?“ Scarlett musterte Lianne. „Ich will nicht neugierig sein. Du musst auf meine Frage nicht antworten.“
„Ja.“ Lianne erwiderte ihren Blick. „Es macht keinen Sinn, es zu leugnen. Keine Ahnung, wie das in dieser kurzen Zeit geschehen konnte. Es steckt viel Gutes unter der harten Schale.“
„Das weiß ich. Er ist definitiv anziehend, ein echter Freund und in den Augen der bewundernden Damenwelt atemberaubend schön.“ Scarlett seufzte. „Dennoch wird er dich verletzen. Er ist ruhelos, ein einsamer Wolf, der kein Zuh ause findet. Das meint er nicht einmal böse. Es ist seine verdammte Natur.“
„Warum sagst du mir das?“
„Ich möchte dir Leid und Kummer ersparen.“
„Lieb, dass du mich warnen willst, aber …“ Lianne druckste und spürte, dass Hitze auf ihren Wangen brannte. Wieder hatte sie sich verraten. Wahrscheinlich stand „Wir hatten heißen, wilden, leidenschaftlichen Sex“ auf ihrer Stirn geschrieben.
„Ihr habt schon …?“ Diese Frage klang beinahe entsetzt, aber sie lächelte. „Okay. Frank wird toben, wenn er davon erfährt . “
„Ich brauche seine Erlaubnis nicht, außerdem bin ich erwachsen. Er findet sowieso an jedem Mann in meinem Leben etwas auszusetzen.“
„Okay , okay, es geht mich auch nichts an“, fügte Scarlett rasch nach.
„Du wirst ihm doch nichts sagen? Ich meine, wenn wir ihn gefunden haben?“
„Natürlich nicht.“Buzz seufzte tief. „Weißt du, ich kenne das, jemanden zu lieben, der dich vielleicht selbst nicht lieben wird.“
Sie stand auf und lief ein paar Schritte im Raum auf und ab. „Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes.“ Sie blickte auf Lianne. „Ich habe eine Idee. “
*
Raven schreckte mit hämmernden Kopfschmerzen hoch, als er Lianne laut schreien hörte. Keine andere Stimme hätte ihn aus der klebrigen Dunkelheit befreien können, in der er sich befunden
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