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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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frei zu bleiben
    Sein Leben lang, und des Herzens Wunsch
    Allein zu erfüllen

    Das Wetter war ein Verräter.
    Ganz ohne Zweifel musste es sich so verhalten. Nicht nur, dass die abgründige Welt einen übereifrigen, aber völlig schuldlosen Mann in den Tod gerissen hatte, nein, sie musste es am Tage seiner Beerdigung auch noch mit strömendem Regen beweinen.
    Doch trotz der Wolken, die sich in einem Teppich aus dichter grauer Watte über Ravinia und das Umland gelegt hatten, sonderte die Stadt ihren milden düstergoldenen Glanz ab.
    Schweigend hatten Tom und Lara gefrühstückt. Es gab Kaffee (wirklich guten Kaffee, das musste Lara dem blassen Muffkopf lassen), Toast und Orangenmarmelade, nachdem Lara der tatsächlich warmen, aber leider nur plätschernden Dusche entstiegen war. Schweigend blickten sie hinaus in den sintflutartigen Regen. Schweigen. Ja, schweigen konnte man gut mit Tom, das hatte Lara begriffen. Ob friedfertig oder missmutig, das war dabei einerlei.
    Immer noch schweigend hatten sie sich über das von Pfützen übersäte Kopfsteinpflaster und durch eine Wand aus Regen zum anderen Ende der Stadt gequält, bewaffnet mit Regenschirmen, die gegen die Feuchtigkeit partout nicht helfen wollten. I am one of those melodramatic fools sang Billie Armstrong in Laras Kopf. Ein verrückter Poet! Genauso verrückt wie die Stadt der sprechenden Raben. Nur dass Billie Armstrong Ravinia wahrscheinlich in einem Punksong verewigt hätte.
    Es gab ein unförmiges Tor an der westlichen Seite der Stadtmauer, das den Anschein erweckte, als habe man es einfach hineingehackt und sich erst später um Dinge wie Torbogen und Torhaus bemüht. Dahinter lag eine Landzunge der Insel, auf der Ravinia erbaut war. Sie war gar nicht einmal so klein, aber ringsherum von dichten Hagebuttensträuchern abgeschirmt, sodass man den dunklen Fluss nicht sah. Hören konnte man ihn an diesem Tag vermutlich auch nicht, denn das Rauschen des Regens schien alles andere zu übertönen.
    Auf diesem Auswuchs der Insel befand sich der Friedhof von Ravinia. Er war ganz besonderer Natur, denn er machte keine religiösen Unterschiede. Der unförmige, hoffnungslos schlammige Boden bot den Schuhen wenigstens ein bisschen Halt, da man bei jedem Schritt einsank, während das Wasser durch alle Ritzen in das Schuhwerk eindrang. Im Süden der Landzunge lag ein kleiner Hain aus knorrigen Eichen, ja beinahe ein Wäldchen. Und ausgehend von dieser Sammlung uralter Bäume erstreckten sich Unmengen von Gräbern über einen guten Teil der freien Fläche. Schnurgerade und exakt aufgestellte marmorne Grabsteine wechselten sich ab mit unförmigen oder verwitterten Klötzen, die schiefen Zähnen gleich aus dem Boden ragten. Pfade zwischen den Grabhügeln und -platten hatten sich im Laufe der Zeit ergeben. Blumen gab es kaum, und wenn, dann waren sie vom Regentag grau gezeichnet. Symbole aller großen Religionen überzogen die steinernen Mahnmale wie Fliegen ein faules Stück Obst. Halbmonde, Kreuze, Davidsterne.
    Eine kleine Trauergemeinschaft hatte sich die verschlammten Wege bis zum Friedhof hinuntergequält. Neben allen, die Lara kannte, waren auch einige unbekannte Gesichter zugegen. Die meisten von ihnen trugen – wie Kommissar Falter – Trenchcoats.
    Father Garbow hielt die Grabrede und führte die Bestattung durch. Er war der Priester in Ravinia, eigentlich ein Katholik. Doch ob Katholik, Orthodoxer oder Anglikaner, das waren Dinge, die in Ravinia die meisten Leute nicht im Mindesten interessierten. Lara schätzte ihn auf vielleicht fünfzig Jahre, er war von ausgesprochen kräftiger, wenn nicht gar korpulenter Statur und trug einen buschigen, halb ergrauten Bart und darüber eine leicht getönte Brille mit runden Gläsern. Er war sicher kein emotionsloser Mann, denn die Betroffenheit auf seinem Gesicht war echt.
    Lara blickte sich um. Zwar sah sie zuhauf schwarze Kolkraben, aber Lord Hester vermisste sie unter den Trauernden. Dafür war jemand aus der Zunft der Musiker anwesend und trug mit sonorer Baritonstimme eine magische Version von Moonriver vor, an der dem ehrgeizigen Mr Cooper viel gelegen hatte.
    Charles Michael Cooper stand auf einem großen Trauerkranz, und Lara wunderte sich, dass sie niemanden sah, der zu Mr Coopers Familie gehören konnte. Doch vielleicht hatte es mit den seltsamen Flüchen, die laut Alistor Sullivan auf der

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