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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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auf die Sitzgelegenheit hinab, während sie die Ultraschallaufnahmen in zittrigen Fingern hielt. Das lederne Büchlein, das an sich gar nicht so zerfleddert, aber unsagbar staubig war, fiel ihr aus der Hand. Sie hatte nur Augen für die Bilder ihres eigenen embryonalen Stadiums.
    Â»Sind … sind Sie mein Vater?«, fragte sie unsicher mit leiser Stimme.
    Da brach Father Garbow in lautes Gelächter aus und plumpste auf ein Kissen gegenüber. Nach einigen – offenbar für ihn recht belustigenden – Sekunden wischte er sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
    Â»Entschuldigung«, hüstelte er. »Eigentlich ist es ja auch gar nicht lustig. Aber nein, um Gottes willen, ich bin nicht dein Vater. Dein Vater ist Arthur McLane, da bin ich mir ziemlich sicher.«
    Â»Aber wer sind Sie dann?«
    Â»Ich bin nur ein Priester, der langsam älter wird.«
    Er grinste.
    Â»Nein, Spaß beiseite. Deine Eltern und ich waren sehr, sehr gut befreundet. Ich kannte Arthur schon aus der Schule, und er hat mir irgendwann … sagen wir mal, aus der Klemme geholfen und mich nach Ravinia gebracht, obwohl ich doch eigentlich gar nichts Besonderes kann. Ich bin nur ein Priester.
    Na ja, auf jeden Fall war ich über lange Jahre hinweg mit deinen Eltern sehr gut befreundet. Mit beiden, sowohl mit Arthur als auch mit Layla. Ich war immer für sie da, wenn sie mich brauchten, und genauso konnte ich mich immer auf sie verlassen.«
    Er seufzte. Die gute Laune wich einer leichten Melancholie.
    Â»Deine Mutter hat mich irgendwann auf das da aufmerksam gemacht«, dabei zeigte er auf das Lederbüchlein, das Lara so achtlos entglitten war. »Ich wusste nicht genau, warum sie mir das erzählte, aber ich erinnerte mich daran, als deine Eltern … na ja … als sie umgebracht wurden.«
    Â»Umgebracht?«, entfuhr es Lara. »Wieso umgebracht? Ich dachte, sie seien bei einem Unfall gestorben, ich …«
    Father Garbow hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und seine natürliche Autorität hatte den erwünschten Effekt.
    Â»Ich dachte mir, dass Henry dir so etwas in der Art erzählen würde. Aber ganz ehrlich – was soll man einem kleinen Mädchen auch erzählen, wenn es nach seinen Eltern fragt? Ich glaube, ich wüsste mir in dieser Situation auch nur sehr schlecht zu helfen.«
    Lara schwieg weiterhin. Ihre Gedanken rasten allerdings.
    Â»Nach diesem verhängnisvollen Abend habe ich mich mit meinem Schlüssel in die Wohnung deiner Eltern aufgemacht und das Tagebuch deiner Mutter mitgenommen, da ich nicht wusste, was dein Großvater damit machen würde. Er war wild vor Schmerzen, er wollte alle Brücken hinter sich abreißen, wollte nie wieder etwas mit Ravinia zu tun haben. All die Jahre. Vielleicht hätte er es verbrannt oder was auch immer. Und so habe ich gehofft, dass ich es dir eines Tages zukommen lassen kann. Und dieser Tag ist dann wohl heute.«
    Das Tagebuch ihrer Mutter. Unglaublich! Das war ein Schatz, größer als jede Kiste voll Gold, großartiger als jeder Augenblick ihres Lebens bisher, als jedes noch so große Glück. Sie hielt das Tagebuch ihrer Mutter in den Händen!
    Â»Du kannst es gerne hier lesen, wenn du willst. Ich könnte dir einen Tee und alle Ruhe, die du brauchst, anbieten. Ich war der Freund deiner Eltern, also bin ich dein Freund.«
    Offenbar war er etwas verlegen, da er mit einer Reaktion gerechnet hatte, aber Lara war völlig abwesend und versuchte zu begreifen, dass sich hier endlich ihre Chance aufgetan hatte, ein Stückchen tiefer in ihre Vergangenheit einzutauchen.
    Â»Du, äh, kannst natürlich auch gehen, wohin du willst.«
    Â»Wer hat sie umgebracht?«, fragte Lara plötzlich. Aus heiterem Himmel. Messerscharf.
    Â»Wie… wieso?«, Father Garbow war etwas perplex ob des abrupten Themenwechsels.
    Â»Wer hat sie umgebracht?«, fragte Lara noch einmal. »Wer war’s?«
    Und obwohl sie sich die Antwort schon denken konnte, gab ihr Father Garbow die Antwort, vor der sie sich gefürchtet hatte.
    Â»Roland Winter«, sagte er mit leicht belegter Stimme.
    Â»Und warum?«, fragte Lara weiter. »Warum hat er das getan?«
    Â»Das«, murmelte der Priester bloß, »ist eine gute Frage, auf die bis heute niemand eine Antwort hat.«
    Schweigen.
    Es war still in dem von orientalischen Düften geschwängerten Wohnzimmer des

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